Das Auge der Fatima
befand sich vermutlich kaum mehr als ein Liter Wasser. Trotzdem war es für Beatrice viel kostbarer als der Inhalt sämtlicher Bulgari- und Cartier-Geschäfte auf der ganzen Welt.
Langsam!, ermahnte sie sich und zwang sich dazu, in kleinen, winzigen Schlucken zu trinken. Sie war schließlich Ärztin und wusste, dass bei ihrer Ausgedörrtheit zu viel Wasser gefährlich sein konnte. Trotzdem kostete es sie eine Willensanstrengung, die sie nicht für möglich gehalten hätte.
Aufmerksam beobachteten die Männer sie. Schließlich nahm der Anführer ihr den Wasserschlauch wieder ab und nickte anerkennend. Offensichtlich hatte sie gerade eine Prüfung bestanden. Sie schienen nun zu glauben, dass sie trotz ihrer blauen Augen eine erfahrene Wüstenbewohnerin war.
»Du hast wahrlich Glück, dass wir diesmal einen anderen Weg nach Qum eingeschlagen haben als gewöhnlich«, sagte er und verstaute den Wasserschlauch wieder an seinem Sattel. »Allah muss einen mächtigen Engel an deine Seite gestellt haben. Steig hinter Assim auf das Pferd. Wir werden dich nach Qum mitnehmen.« Er half ihr auf das Pferd hinauf. »Übrigens, mein Name ist Malek.«
»Ich heiße Sekireh«, erwiderte Beatrice ohne nachzudenken. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass es besser sei, nicht ihren richtigen Namen zu nennen.
Sie zog sich ihr Tuch wieder fest vor das Gesicht und legte ihre Arme um die Taille des jungen Mannes vor ihr.
»Glaubst du, du bist überhaupt in der Lage zu reiten?«, fragte Assim besorgt. »Bist du nicht zu schwach?«
»Keineswegs«, antwortete Beatrice. »Ich will nur endlich die Wüste hinter mir lassen. Dafür würde ich sogar bis zum Ende der Welt reiten.«
Assim lachte. Es war das fröhliche, unbeschwerte Lachen eines Kindes.
»So weit ist es zum Glück nicht mehr, Sekireh«, sagte er. »Gegen Abend werden wir Qum erreichen.«
Er trat dem Pferd in die Flanken und folgte den anderen Männern, die bereits weitergaloppierten.
Das Licht der untergehenden Sonne begann gerade, den Himmel in Brand zu setzen, als sie endlich ihr Ziel vor Augen sahen. Vor ihnen am Horizont erhob sich die Oase Qum. Die Männer zügelten ihre Pferde und genossen einen Moment lang den Anblick von Häusern und grünen Bäumen, die sich so plötzlich aus dem Sand und Geröll der Wüste erhoben, als hätte der Geist aus der Wunderlampe sie dorthin verfrachtet. Beatrice hielt den Atem an. Etwas Schöneres hatte sie noch nie gesehen.
»Los, weiter!«, rief Malek. Er stieß einen wilden Schrei aus und trat seinem Pferd in die Flanken.
»Weshalb hat er es so eilig, nach Qum zu gelangen?«, fragte Beatrice überrascht.
Assim lächelte. »Ist es denn ein Wunder? Ich dachte, das weißt du. Du willst doch auch zur Hochzeit. Mein Bruder freut sich natürlich auf Yasmina, seine Braut, die ihm schon seit mehr als zehn Jahren versprochen ist. Meine Brüder und ich sind nur seine Begleitung. Und morgen, wenn die Sonne aufgegangen ist, wird Yasmina endlich seine Frau.«
Assim trat seinem Pferd in die Flanken, um seinen Brüdern zu folgen, und nur wenig später erreichten sie die Oase.
Es war ein herrlicher Ort. Beatrice wandte den Kopf unablässig von rechts nach links und konnte sich doch nicht satt sehen. Überall wuchsen Schatten spendende Bäume, die schwer an ihren Früchten trugen - an köstlich duftenden Pfirsichen, goldgelben Äpfeln und leuchtend roten Kirschen. Rosen und viele Blumen, deren Namen Beatrice nicht kannte, blühten in allen nur erdenklichen Farben. An den weiß getünchten Hauswänden und Mauern rankte Jasmin und betäubte mit seinem unvergleichlichen Duft die Sinne. Das Licht der untergehenden Sonne ließ alle Farben nur noch intensiver leuchten. Alles um sie herum war grün; es war ein so herrliches, gesundes, lebendiges, sattes Grün, dass es Beatrice beinahe die Tränen in die Augen trieb. Sie kam sich vor, als ob sie von den Toten auferstanden wäre. Schafe blökten, Ziegen meckerten, Hühner liefen durcheinander, Menschen lachten und Kinder schrien. Dies hier war das Leben - der krasse Gegensatz zu der Einöde, die beinahe ihr Grab geworden war. Beatrice konnte es kaum fassen. Sie hatte es geschafft. Sie hatte tatsächlich die Wüste hinter sich gelassen.
Sie kamen an einen See, dessen gegenüberliegendes Ufer - ein breiter dunkelgrüner Streifen am Horizont - von einem großen, kantigen Gebäude beherrscht wurde, ägyptischen Tempelanlagen nicht unähnlich. Ein paar niedrige Boote schwammen auf dem Wasser. Die Fischer
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