Das Auge der Fatima
registrieren und dabei zu prüfen, ob sie sie anlog oder nicht.
»Und dann nahm Assim mich auf sein Pferd, und die vier brachten mich hierher«, beendete Beatrice ihren Bericht.
Yasmina schwieg eine Weile und runzelte die Stirn.
»Und das soll ich dir glauben?«, fragte sie.
Beatrice zuckte mit den Schultern. »Ich habe dir die Wahrheit erzählt, so wie du es wolltest. Ob du sie nun glaubst oder nicht, das bleibt allein dir überlassen.«
»Falls das wirklich die Wahrheit ist. Warum hast du Malek und den anderen nichts davon erzählt?«, fragte Yasmina. »Weshalb hast du das Märchen von der Cousine erfunden und dich wie ein gemeiner Betrüger und Dieb in unser Haus eingeschlichen?«
»Das war nie meine Absicht!«, entgegnete Beatrice scharf. »Assim hat dafür gesorgt, dass ich in euer Haus aufgenommen werde. Ich wollte nichts anderes, als endlich diese entsetzliche Wüste hinter mir lassen. Ich hatte Durst, ich hatte Hunger. Die Geier kreisten bereits über meinem Kopf. Ich hatte den Tod vor Augen. Was hätte ich denn deiner Meinung nach in so einer Situation tun sollen?« Beatrice strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Ehrlich gesagt, ich weiß selbst nicht, warum mir das mit der Hochzeit und der Cousine eingefallen ist. Es war eine Art Eingebung. Aber ich bin sicher, dass weder Malek noch einer seiner Brüder mir auch nur ein Wort geglaubt hätte, wenn ich ihnen erzählt hätte, wer ich wirklich bin. Sie hätten in mir eine Hexe vermutet und mich auf der Stelle getötet.«
Yasminas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Drohend hob sie ihren Dolch.
»Und warum sollte ich dir jetzt mehr Glauben schenken als Malek?«
Beatrice sah sie an. Ihr Daumen glitt unablässig über die glatte Oberfläche des Saphirs unter ihrer Bettdecke, und in ihrem Kopf kreisten immer wieder dieselben Worte: Ich vertraue dir, ich vertraue dir, ich vertraue dir ...
»Mein Gefühl sagt mir, dass ich dir vertrauen kann. Dass du, auch wenn du dich noch dagegen sträubst, tief in deinem Herzen meinen Worten Glauben schenkst, dass du sogar weißt, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.«
»Und wenn es so wäre ...« Yasmina wandte sich ab und stand auf. Langsam und nachdenklich ging sie durch den Raum, legte schließlich den Dolch an das Fußende des Bettes und setzte sich neben Beatrice.
»Wie heißt du wirklich, Sekireh?«, fragte sie. »Wer oder was bist du? Bist du eine Magierin, bewandert in den schwarzen Künsten?«
»Nein. Mein Name ist Beatrice Helmer«, entgegnete Beatrice ruhig. »Und ich bin Chirurgin, Ärztin. Ich habe an der Universität in meiner Heimatstadt Medizin studiert.«
Yasminas Augen weiteten sich vor Staunen, und Beatrice wusste, dass sie gewonnen hatte. Yasmina glaubte ihr.
»Du hast studiert? Dort, wo du herkommst, werden Frauen an den Universitäten geduldet?«
»Ja. Aber das liegt nicht allein an meinem Heimatland. Welches Jahr haben wir?«
»407.«
Beatrice rechnete kurz nach. Das Jahr 407 nach islamischer Zeitrechnung entsprach in etwa dem Jahr 1017. Ein gutes Datum, ein sehr gutes sogar. Bedeutete es doch, dass sie bei ihrer Suche nach Michelle auch Ali wiederbegegnen konnte, begegnen würde, denn vermutlich war Michelle auf dem Weg zu ihm. Ali ... Wie er wohl jetzt aussah? Ob er glücklich war? Ob er geheiratet hatte? Vielleicht hatte er ja sogar Kinder und ... Plötzlich fiel ihr ein, dass sie nicht allein war. Sie räusperte sich.
»407. In etwa tausend Jahren wird es fast überall auf der Welt Frauen und Männern gleichermaßen möglich sein, zu studieren und ihren Beruf frei zu wählen. Egal, ob Handwerker, Kaufmann, Arzt oder Künstler - es bleibt jedem selbst überlassen.« Na, wenigstens soweit die wirtschaftlichen Verhältnisse und das Angebot an freien Stellen dies erlauben.
»Was für ein herrlicher Traum«, erwiderte Yasmina und seufzte tief. »Darf ich den wundersamen Stein einmal sehen?«
Beatrice zog ihre Hand unter der Bettdecke hervor und reichte Yasmina den kostbaren Saphir. Sie hielt ihn einen Augenblick in der Hand und betrachtete ihn beinahe sehnsüchtig. Dann gab sie ihn Beatrice zurück.
»Du hast Recht. Ich glaube dir. Der Stein der Fatima ...« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Es ist kaum zu begreifen. Aus dem Nebel der Geschichten tritt er plötzlich hervor und liegt hier leibhaftig auf meiner Hand. Fast vergessene Märchen und Legenden werden wahr. Ich wünschte, er könnte auch mich fortbringen - weit weg von hier. Vielleicht sogar in eine andere
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