Das Auge der Fatima
Gelächter und Klatschen der Frauen einen ziemlich frivolen Tanz aufführten, beachtete sie kaum. Sie überlegte fieberhaft, was Yasmina wohl vorhatte und was sie dagegen unternehmen konnte. Und jedes Mal, wenn sie von ihrem Becher oder Teller aufsah, waren die hellen Augen der jungen Frau auf sie gerichtet.
Endlich war das Festmahl vorüber. Zu ihrer großen Erleichterung brachen fast alle Gäste gleichzeitig auf, sodass Beatrice sich unter die anderen mischen und den Saal verlassen konnte. Auf ihrem mühevollen Weg durch das Haus sah sie sich immer wieder um, doch niemand schien ihr zu folgen, und ohne Schwierigkeiten gelangte sie zu ihrem Zimmer.
Es war spät in der Nacht. Beatrice lag hellwach auf ihrem Bett. Obwohl sie mittlerweile so müde war, dass sie beinahe schon Doppelbilder sah, konnte sie nicht einschlafen. Sie verfolgte die huschenden Schatten, die das Licht der Talglampe an die weiß getünchte Zimmerdecke malte, und dachte über Yasmina nach. Dass sie sie durchschaut hatte, darauf hätte Beatrice ihren rechten Arm verwettet. Aber warum hatte sie dann während des Festmahls nichts gesagt? Warum hatte die junge Frau nicht die Diener gerufen?
Plötzlich öffnete sich die Tür lautlos und langsam, wie von Geisterhand bewegt. Eine Gestalt, bekleidet mit einem knöchellangen weißen Gewand, huschte herein, und noch bevor Beatrice sie genauer erkennen konnte, wusste sie bereits, um wen es sich handelte. Es war Yasmina.
Die junge Frau blieb stehen. Offensichtlich war sie überrascht über die brennende Lampe. Beatrice hörte ihre schweren, heftigen Atemzüge und nahm an, dass sie überlegte, was sie als Nächstes tun sollte.
»Du bist wach?«, fragte sie schließlich barsch.
Beatrice setzte sich auf.
»Ja, ich konnte nicht schlafen.«
Sie sah Yasmina am Fußende ihres Bettes stehen. Das Licht der kleinen Lampe fiel auf das blasse, entschlossene Gesicht der jungen Frau und auf das, was sie in ihren zitternden Händen hielt - ein silbrig glänzendes schlankes Stück Metall. Es war ein Dolch.
Beatrice schluckte. Doch bereits im nächsten Augenblick verflog ihre Angst, und Wut packte sie. Sie war auf der Suche nach ihrer Tochter, einem kleinen, nicht einmal vierjährigen Mädchen, das mutterseelenallein durch die Zeitgeschichte irrte. Und sie war nicht gewillt, sich aufhalten zu lassen. Nicht von der Wüste, nicht von einer Meute hungriger Geier, und schon gar nicht von einem nervösen jungen Mädchen, das am Abend vor seiner Hochzeit noch unbedingt Heldin spielen wollte.
»Was willst du?«, fragte Beatrice kühl und war entschlossen, sich durch nichts einschüchtern zu lassen. Wenn unbedingt nötig, würde sie sogar mit Yasmina kämpfen. »Bist du gekommen, um mich zu erstechen?«
Yasmina presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und trat ein paar Schritte näher.
»Es kommt ganz auf dich an«, stieß sie hervor und packte den Griff des Dolches fester, so als hätte sie die Absicht, ihn jeden Augenblick in Beatrices Herz zu stoßen. »Wenn du meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortest, lasse ich dich vielleicht sogar laufen.«
»Gut, dann fang an«, erwiderte Beatrice und zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Wer bist du wirklich? Und woher kommst du?«, fragte Yasmina. Sie ließ sich langsam und vorsichtig auf das Fußende des Bettes sinken, als würde sie einem Tiger oder einer gefährlichen Kobra gegenüberstehen. »Ich will keine Ausflüchte hören! Mich kannst du nämlich nicht so leicht täuschen wie meine Mutter. Sie ist immer so beschäftigt, dass man ihr sogar einen vierten Sohn unterschieben könnte, ohne dass sie es bemerken würde. Aber ich weiß, dass es in unserer
Familie keine Cousine mit dem Namen Sekireh gibt. Noch dazu eine mit blauen Augen und goldenem Haar. Du hättest dir eine andere, eine glaubhaftere Geschichte ausdenken sollen. Ich will jetzt die Wahrheit hören.«
Beatrice dachte kurz nach. Und dann, aus einem Impuls heraus, beschloss sie, Yasmina genau das zu geben, was sie von ihr verlangte - die Wahrheit.
»Gut, wie du willst«, sagte sie, »ich werde dir erzählen, was wirklich geschehen ist.«
Während Beatrice erzählte, vom Stein der Fatima, von ihrer Tochter, die zu Hause im Koma lag, von ihrer mühevollen Wanderung durch die Wüste und wie die vier Brüder sie schließlich gefunden hatten, sah Yasmina sie unverwandt an. Ihre schönen, fast grünen Augen schienen jede Geste, jede Mimik von Beatrice genau zu
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