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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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    Denn ausgerechnet hier, am Ende dieser Gasse, in diesen Häusern, die alle anderen als verflucht betrachteten, wohnten die Juden von Qazwin. Und einer von ihnen war der Ölhändler Moshe Ben Levi, der Mann, der ihm angeblich alle Fragen beantworten konnte. Der Jude war zwar Ölhändler, aber bei ihm gab es kein Speise- oder Lampenöl zu kaufen, sondern nur das schwer duftende, salbenartige Öl, das bei Bestattungen Verwendung fand.
    Ali nahm seinen Mut zusammen und trat vor die Tür des Ölhändlers. Eine einsame Lampe brannte mit jämmerlicher Flamme neben dem Eingang und beleuchtete nur notdürftig das Schild, auf dem sowohl in arabischer als auch hebräischer Schrift der Name Levi geschrieben stand.
    Dieses Mal, wenn ich leibhaftig vor ihnen stehe, werden sie mich nicht so leicht abweisen können, dachte Ali. Sein aufkeimender Zorn über die Arroganz der Juden vertrieb beinahe das Unbehagen, das wie ein Klumpen geschmolzenes Metall in seinem Magen drückte. Aber nur beinahe. Sie werden es nicht wagen, einen Gläubigen abzuweisen.
    Er pochte mit dem schweren Türklopfer gegen die Tür. Es waren dumpfe Schläge, die unheilvoll in den Ohren klangen.
    Als ob ich an die Pforten der Unterwelt geklopft hätte, dachte Ali und hätte sich nicht gewundert, wenn ihm beim Öffnen der Tür ein dreiköpfiger Cerberus gegenübergestanden hätte.
    Während er wartete, sah er sich den Türsturz an. Das Holz war ungleichmäßig dunkel, so als hätte ein ungeschickter Mann versucht, sie mit einem in dunkle Farbe getauchten Reisigbündel zu streichen. Wie aus heiterem Himmel fielen ihm all jene Geschichten ein, die man sich unter den Gläubigen über die Juden erzählte - von seltsamen Bräuchen und grausamen Ritualen, bei denen Dämonen und Geister beschworen, Flüche über die Gläubigen verhängt und das frische Blut von Opfern an die Türen geschmiert wurden. Manche sprachen dabei von Hunden, denen die Kehle durchgeschnitten wurde, um sie langsam ausbluten zu lassen. Auch von Ratten, Schweinen, schwarzen Katzen war die Rede, und sogar von Menschen ...
    Ali erschauderte und zweifelte erneut daran, dass es eine gute Idee gewesen war, mitten in der Nacht hierher zu kommen. Bei Tageslicht, in seinem Haus oder in den von hunderten von Menschen bevölkerten Straßen des Bazars hätte er über seinen fehlenden Mut gelacht. Er hätte die Gerüchte über die Juden als das abgetan, was sie vermutlich auch waren - Spukgeschichten, mit denen man die Kinder erschrecken und von den Häusern der Juden fern halten wollte. Doch hier in dieser finsteren Gasse mit dem Eingang zur Hölle im Rücken galten andere Regeln. Hier war er ohne weiteres bereit, jede noch so haarsträubende, furchteinflößende Geschichte zu glauben.
    Endlich hörte er Schritte, die sich dem Tor näherten. Ein paar Schlösser wurden geöffnet, mindestens drei Riegel zurückgeschoben, und dann ... Nein, es war kein dreiköpfiger Cerberus, der ihm öffnete, und auch keine andere furchteinflößende Kreatur der Unterwelt. Es war ein hoch gewachsener schlanker junger Mann mit einem schmalen blassen Gesicht. Nicht ein einziger Blutfleck war auf seinem makellos weißen, knöchellangen Gewand zu finden. Er sah ebenso harmlos aus wie alle jungen Männer, bei denen die Tage des ersten Bartwuchses noch nicht lange vorüber waren. Der einzige Unterschied zu seinen Altersgenossen bestand in einer runden, kaum Handteller großen Kappe auf seinem Kopf und den beiden seltsamen gedrehten Schläfenlocken - ein Merkmal, an dem man die Juden für gewöhnlich schon von weitem erkennen konnte.
    »Was wollt Ihr?«, fragte der junge Mann barsch. »Das Geschäft ist bereits geschlossen. Falls Ihr Öl benötigt, so kommt übermorgen wieder.«
    »Ich hatte nicht die Absicht, Öl zu kaufen«, sagte Ali entschlossen und legte so viel Autorität in seine Stimme, wie er es bei seinen Dienern zu tun pflegte, wenn sie seine Wünsche nicht schnell genug erfüllten. »Ich bin Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina. Und ich wünsche Moshe Ben Levi zu sprechen. Jetzt, auf der Stelle.«
    Der junge Mann warf ihm einen finsteren Blick zu und schüttelte den Kopf, sodass die Schläfenlocken hin und her schlackerten.
    »Der Meister ist nicht zu sprechen«, entgegnete er. Weder Alis Name noch sein Auftreten schienen ihn sonderlich zu beeindrucken. »Außerdem benötigt er zurzeit weder den Beistand noch den Rat eines Arztes. Geht.«
    Mit wachsendem Zorn registrierte Ali, dass der

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