Das Auge der Ueberwelt
Meeresalgen, die er durch Berührung mit Iucounus Amulett eßbar und nahrhaft machte. Als er aß, schien er Stimmen und unbekümmertes Lachen zu hören. In der Nähe erstreckten sich niedrige Felsausläufer in die See, und nachdem er aufmerksam gelauscht hatte, entdeckte Cugel, daß die Stimmen aus dieser Richtung kamen. Sie waren klar und kindlich, voll unschuldiger Fröhlichkeit.
Vorsichtig kletterte er auf die Felsen hinaus. An ihrem Ende, wo der Ozean brandete und gurgelte und dunkle Wasser schwappten, hatten vier große Muscheln festgemacht. Sie waren jetzt offen, und Köpfe blickten heraus. Die Köpfe waren rund und lieblich, mit weichen Wangen, blaugrauen Augen und Büscheln blassen Haares. Die Geschöpfe tauchten ihre Finger ins Wasser und zogen aus den Tropfen Fäden, die sie geschickt zu einem feinen, weichen Stoff woben. Als Cugels Schatten auf das Wasser fiel, zogen die Geschöpfe sich sofort in ihre Schalen zurück und schlossen sie.
»Warum das?« rief Cugel scherzhaft. »Schließt ihr euch beim Anblick eines fremden Gesichts immer ein? Seid ihr so furchtsam? Oder nur verdrießlich über die Störung?«
Die Muscheln blieben geschlossen. Dunkles Wasser wallte und wirbelte über den ausgekehlten Oberflächen. Cugel kam einen Schritt näher, kauerte nieder und legte den Kopf auf die Seite. »Oder seid ihr vielleicht stolz? So daß ihr euch in Geringschätzung zurückzieht, wenn ein Fremder kommt? Oder fehlt es euch an Anstand?«
Noch immer keine Antwort. Cugel blieb, wo er war, und begann eine Melodie zu pfeifen, die er auf dem Markt von Azenomai gehört hatte.
Nicht lange, und eine Muschel am Ende der Klippe öffnete ihre Schalen einen Spalt, und Augen spähten zu ihm heraus. Cugel pfiff eine weitere Strophe, dann sagte er munter: »Öffnet eure Schalen! Hier wartet ein Fremder, der um wichtige Auskünfte bittet!«
Eine zweite Muschel öffnete sich ein wenig; ein zweites Augenpaar glänzte aus der Dunkelheit des Innern.
»Vielleicht seid ihr unwissend«, spottete Cugel. »Vielleicht kennt ihr nichts als die Farben der Fische und die Nässe des Wassers.«
Die entfernteste Muschel öffnete ihre Schalen weiter, genug, daß Cugel das indignierte Gesicht im Innern sehen konnte. »Wir sind keineswegs unwissend!«
»Noch mürrisch oder ohne Anstand«, rief die zweite.
»Noch furchtsam!« rief eine dritte.
Cugel nickte weise. »Das mag sein. Aber warum zieht ihr euch bei meiner bloßen Annäherung so plötzlich zurück?«
»Es ist unsere Natur«, sagte das erste Muschelwesen. »Bestimmte Bewohner der See würden sich freuen, uns unversehens zu überraschen, und darum ist es weise, sich zuerst zurückzuziehen und dann erst nachzusehen.«
Alle vier Muscheln waren jetzt geöffnet.
»Nun«, sagte er, »was könnt ihr mir über Cil erzählen? Werden Fremde freundlich aufgenommen oder vertrieben? Gibt es Gasthäuser oder muß der Reisende im Straßengraben schlafen?«
»Solche Dinge liegen jenseits unseres Wissens«, sagte das erste Muschelwesen. Es klappte seine Schalen ganz auf und schob blasse Arme und Schultern hervor. »Die Bewohner von Cil sind, wenn die in der See umlaufenden Gerüchte der Wahrheit entsprechen, verschlossen und mißtrauisch. Sogar ihrer Herrscherin gegenüber, die aus dem Haus Domber stammt.«
»Da geht der alte Slaye«, sagte ein anderes. »Er kehrt früh zu seiner Hütte zurück. Er ist alt, und niemals wird er seinen Armreif finden, und so wird das Haus Domber über Cil herrschen, bis die Sonne ausgeht.«
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Cugel. »Was geschieht, wenn er diesen Armreif wiederfindet?«
»Dann kann er die alten Vorrechte seines Geschlechts wiedergewinnen, das Haus Domber vom Thron stoßen und über Cil herrschen, wie seine Vorfahren es getan haben.«
Cugel stellte weitere Fragen, aber die Geschöpfe des Meeres waren unfähig, sich längere Zeit auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren. Während Cugel ihnen lauschte, diskutierten sie über die Strömungen des Meeres, den Geschmack von Perlen und andere Dinge. Nach einigen Minuten versuchte Cugel, das Gespräch wieder auf Slaye und das Land Cil zu bringen, aber die Muschelgeschöpfe waren von kindlicher Sprunghaftigkeit. Sie schienen Cugel zu vergessen, tauchten ihre Finger ins Wasser und zogen blasse Fäden aus den Tropfen.
Cugel wurde des Gesprächs schließlich überdrüssig und stand auf, was ihm wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit der Muschelwesen eintrug. »Mußt du so bald schon weiterziehen? Gerade
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