Das Auge der Ueberwelt
Männer, die seine Gäste waren. Alle wandten die Köpfe und starrten verdutzt, als Cugel eintrat.
»Willkommen, Wanderer«, sagte der Wirt nicht unfreundlich. »Was wünschst du?«
»Zuerst ein Glas Wein, dann Abendessen und ein Quartier für die Nacht. Schließlich Auskünfte über den Weg nach Süden.«
Der Wirt füllte einen Zinnbecher mit Wein und schob ihn Cugel hin. »Abendessen und Nachtquartier kannst du haben. Was den Weg nach Süden angeht, so führt er in das Gebiet von Magnatz, und dazu gibt es nur soviel zu sagen: viele sind nach Süden gegangen, ohne zurückzukehren. Und seit Menschengedenken ist niemand von dort nach Norden gekommen.«
Die drei Männer am Tisch nickten mit ernster Miene. Zwei waren Bauern aus der Umgebung, während der dritte die hohen schwarzen Stiefel eines Hexenjägers trug. Der erste Bauer gab dem Wirt ein Zeichen: »Gib diesem unglücklichen Mann noch einen Becher Wein, auf meine Kosten.«
Cugel dankte mit gemischten Gefühlen. »Kann mir jemand von euch Ratschläge geben?«
Der Hexenjäger sagte barsch: »Geh nicht. Zuerst wirst du Deodandern begegnen, die nach deinem Fleisch gieren. Und dann kommst du in den Bereich von Magnatz, verglichen mit dem die Deodander als Engel der Barmherzigkeit erscheinen, wenn die Gerüchte zutreffen, die man sich erzählt.«
»Das sind entmutigende Nachrichten«, sagte Cugel nachdenklich. »Gibt es keine andere Route in die südlichen Länder?«
»Es gibt eine«, antwortete der Hexenjäger, »und ich empfehle sie dir, Fremdling. Geh nach Norden in den Großen Erm zurück und durchquere den Wald in seiner ganzen Länge nach Osten. Er wird dort immer dichter und einsamer, und du wirst kräftige Arme und schnelle Füße benötigen, um den Vampiren, Erbs und Leukomorphen zu entgehen. Nachdem du den östlichen Waldrand erreicht hast, mußt du dich nach Süden wenden und das Tal von Dharad zu erreichen suchen, wo Gerüchten zufolge eine Armee von Basilisken die alte Stadt Mar belagert. Solltest du ungeschoren durch dieses Tal kommen, so erreichst du die Große Zentralsteppe, wo es kaum Nahrung oder Wasser gibt und die von den Pelgranen durchstreift wird. Nach Durchquerung der Steppe wendest du dich wieder nach Westen und überwindest eine Reihe giftiger Sümpfe. Du kommst dann in ein Gebiet, von dem ich nur weiß, daß es das Land der bösen Erinnerung genannt wird. Nach Durchquerung dieser Gegend wirst du dich an einem Punkt südlich der Berge von Magnatz befinden.«
Cugel blickte sinnend in sein Glas. »Die Route, die du da beschrieben hast, mag sicherer sein als der direkte Weg nach Süden, aber sie scheint von übermäßiger Länge. Ich bin geneigt, die Berge von Magnatz zu riskieren.«
Der erste Bauer betrachtete ihn mit ehrfürchtiger Scheu. »Du mußt ein bedeutender Zauberer sein.«
Cugel schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin Cugel der Schlaue; nicht mehr und nicht weniger.«
Kurz darauf brachte der Wirt das Abendessen: ein Schmorgericht aus Linsen und Landkrabben, garniert mit Wildkräutern und Heidelbeeren. Nach der Mahlzeit tranken die zwei Bauern einen letzten Becher Wein und gingen, während Cugel, der Wirt und der Hexenjäger um das Feuer saßen und verschiedene Aspekte der Existenz diskutierten. Schließlich erhob sich der Hexenjäger, um sich in seine Schlafkammer zurückzuziehen. Bevor er ging, wandte er sich an Cugel und sagte: »Ich habe bemerkt, daß du einen guten Umhang hast, Fremder. Da du so gut wie tot bist, könntest du diesen Umhang mir verehren. Wie denkst du darüber?«
Cugel lehnte das Ansinnen ab und ging in seine eigene Kammer.
Während der Nacht weckte ihn ein kratzendes Geräusch beim Fußende des Bettes. Er sprang aus dem Bett, und so gelang es ihm, den Eindringling zu fangen. Als er Licht gemacht hatte, sah er, daß er den Küchenjungen gefaßt hatte, der Cugels Stiefel an sich drückte; offensichtlich hatte er sie stehlen wollen. »Was soll das heißen?« fragte Cugel und knuffte den Jungen. »Wie kannst du es wagen, Gäste zu bestehlen!«
Der Küchenjunge bat Cugel, ihn nicht zu schlagen. »Was macht es schon aus?« jammerte er. »Ein Mann, der zum Untergang verurteilt ist, braucht keine so eleganten Stiefel.«
»Darüber werde ich entscheiden«, entgegnete Cugel. »Erwartest du, daß ich barfuß in die Berge von Magnatz ziehe? Verschwinde!« Und er gab dem Jungen einen Stoß, daß er in den Korridor flog.
Am Morgen stellte er den Wirt wegen des Vorfalls zur Rede, doch der Mann zeigte kein
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