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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Verletzten wieder zu, trat beiseite, wo Leo ihn nicht sehen konnte, ohne seine ganze Position zu verändern; dann winkte er Viktor zu sich und hielt seine Hand auf; ohne zu zögern legte Viktor seinen Revolver hinein. Nach einem kurzen Blick führte der Major die Waffe bis auf wenige Zentimeter an Leos Scheitel heran und drückte ab. Es gab zwei Geräusche, eine gedämpfte Detonation und das Splittern von Knochen, und Leo schrie nicht mehr. Major Yakirs schöne dunkelbraune Augen waren gewöhnlich sehr ausdrucksvoll, im Augenblick aber boten sie keinen Hinweis darauf, was er fühlte oder dachte. Er gab Viktor den Revolver zurück, dann beugte er sich über Leo und zog ihm die Decke übers Gesicht. Darauf ging er zum Telefon, das auf einer Packkiste in der Ecke stand, und machte drei kurze Anrufe. Schließlich warf er den drei anderen einen Blick zu, der auch ein Befehl war, und verließ den Raum an ihrer Spitze. Seit er ihn betreten hatte, hatte er kein Wort zu ihnen gesagt, noch sie zu ihm.
    Auch in der Offiziersmesse kam es zu keinem großen Wortschwall. Schon bald wurde klar, daß der Major nicht die Absicht hatte, den Anfang zu machen. Boris schien zu überwältigt, um zu sprechen, Dmitri (mit lockigem Haar und runden Wangen) zu ängstlich. Viktor ließ den Kopf so hängen, daß sein Gesicht nicht zu sehen war. Endlich sagte Alexander mit bebender Stimme: »Diese furchtbaren Schreie. Man stelle sich die Schmerzen vor, die er gelitten haben mußte.«
    »Er litt Qualen, kein Zweifel«, sagte der Major, dessen Tonfall und Haltung völlig nüchtern blieben, »aber das war nicht die Ursache seiner Schreie. Wäre es nur der Schmerz allein gewesen, dann hätte er gestöhnt oder geröchelt, nicht geschrien. Nein, er wußte ganz genau, was ihn getroffen hatte und wo, und was das bedeutete. Er schrie vor Angst.«
    »Aber das ist nicht besser.«
    »Nein«, stimmte der Major zu, dann sagte er, ohne die Stimme zu heben: »Nun heraus mit der Sprache, einer von Ihnen!«
    Ohne aufzublicken sagte Viktor: »Leo schlug es vor … die anderen werden das bestätigen. Er war immer die treibende Kraft.«
    »Immer?«
    »Jawohl, Herr Major. Wir haben dies … ungefähr zwanzigmal gespielt … äh … getan.«
    »Und woraus bestand es?«
    »Jeder verrät abwechselnd seinen Standort und wird von den anderen beschossen. Es wird auf die Stimme gezielt. Leo war der Erfinder dieses Spiels.«
    Der Major lachte durch die Nase. »Das Spiel ist wenigstens hundertfünfzig Jahre alt, jedenfalls in unserem Heer. Hat einer von Ihnen eine Ahnung, wessen Kugel ihn getroffen hat?«
    Niemand hatte. Alexander, der in das Verhör einbezogen gewesen war, sagte demütig:
    »Meine kann es nicht gewesen sein, Herr Major, weil ich nicht daran teilgenommen habe. Ich war hier in der Messe. Die anderen werden …«
    »Warum verständigten Sie mich nicht von dem, was vorging, heute abend oder bei einem früheren Anlaß?«
    »Ich hatte mein Ehrenwort gegeben, nichts zu sagen.«
    »Militärische Notwendigkeit hat Vorrang vor privaten Vereinbarungen, wie Sie wissen. Übrigens ist es um Ihr Erinnerungsvermögen nicht besser bestellt als um das Ihrer Kameraden. Es muß der Schock über den Verlust Ihres Freundes sein. Gestatten Sie mir, meine Herren, eine Zusammenfassung dessen zu geben, was in der vergangenen halben Stunde tatsächlich geschehen ist. Das Opfer hatte übermäßig getrunken und war prahlerisch und herausfordernd geworden. Er beanspruchte die Tugend der Tapferkeit für sich allein; Sie waren rückgratlos und feige, keine wahren Männer. Das war seine Behauptung. Sie würden es nicht wagen, sagte er, sich aus freien Stücken in Lebensgefahr zu begeben, zum Beispiel dadurch, daß Sie im Laufe eines Spiels auf sich schießen ließen, wie sich jetzt hier im Park erweisen würde. Vergebens wiesen Sie alle auf die Unerlaubtheit und die törichte Unbesonnenheit eines solchen Handelns hin; er wollte von seinen Sticheleien nicht lassen. Zuletzt, aufgereizt durch die ständigen Angriffe auf Ihre Integrität, faßten Sie einen gemeinsamen Beschluß, den Sie nun bitterlich bereuen und auf das Entschiedenste verurteilen, für welchen Sie aber das Verständnis Ihrer Richter erhoffen, zumal jeder von Ihnen gelobte, weit am Ziel vorbeizuschießen und das Spiel nach der ersten Runde abzubrechen. Das Opfer hatte sich früher schon aggressiv verhalten, aber niemals in einem vergleichbaren Maß. Sie werden sich der Gnade des Gerichts anheimgeben. Irgendwelche

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