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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Frauen waren sorgfältig nach einer weiteren Fotografie kopiert, die vor beinahe einem Jahrhundert aufgenommen worden war, im Jahre 1937, und eine Menschenmenge zeigte, die nach einem Gottesdienst diese Kirche verließ. Die Kleider waren von einheimischen Schneidereibetrieben aus billigen Stoffen in Serie produziert worden und begannen in einigen Fällen bereits aus den Nähten zu platzen.
    »Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben. Amen.«
    Es folgte ein längeres Gepolter und Geraschel, als die Gemeindemitglieder nacheinander von der Idee des Niederkniens erfaßt wurden. Glover sprach allein von der Kanzel.
    »Der Herr sei mit euch.«
    »Und mit deinem Geiste«, antworteten diejenigen seiner Hörer, die lesen konnten.
    »Herr erbarme dich unser.«
    »Christus erbarme dich unser.«
    »Herr erbarme dich unser.«
    Was darauf folgte, schien Kitty Wright verhältnismäßig vertraut, ein Stück des alten Kirchenrituals mit einer Aufzählung dessen, was die Menschen jeden Tag von Gott erbaten. Was zuvor gesagt worden war, interessierte sie mehr: die Aufzählung begann mit dem Heiligen Geist. Das war der dritte christliche Gott, über den noch weniger bekannt zu sein schien als über Gott den Vater; eine finstere Gestalt, sogar beängstigend, wenn man sie ernst nahm, doch erinnerte Kitty sich, irgendwo gelesen zu haben, daß Einschüchterung und Angst in den Lehrgebäuden der Religionen eine bedeutsame Rolle spielten. Die heilige katholische Kirche setzte sie in Verlegenheit, ohne daß sie dafür einen Grund hätte nennen können, also ging sie darüber hinweg zur Gemeinschaft der Heiligen. Vielleicht hatte es mit der Kommunion zu tun, einem anderen alten Kirchenritual, an welchem die Heiligen zweifellos in irgendeiner Form beteiligt gewesen waren. Die drei letzten Artikel waren in einer Weise deutlich genug, wenn die Auferstehung des Fleisches auch ein weiteres Geheimnis blieb, konnte doch jeder sehen, daß sie, etwa im Gegensatz zur Vergebung der Sünden, unmöglich war. Aber die ganze Aufzählung war sehr seltsam – fern und unwirklich. Es ergab Sinn, an die Unantastbarkeit der eigenen Person zu glauben, an Scheidung für unglückliche Ehepaare, an eine Wärmflasche für kalte Nächte; der Glaube an diese Dinge konnte in jedem Fall nützlich sein; zumindest ließ sich darüber diskutieren. Wo aber lag der Sinn, an den Heiligen Geist zu glauben, oder für das ewige Leben zu sein? Wie waren sie dazu gekommen, solche Dinge zu empfehlen? Und doch waren Männer und Frauen für das Recht gestorben, daran zu glauben und gut davon zu denken. Es war unverständlich; wenngleich hinzugefügt werden mußte, daß heutzutage niemand für etwas starb.
    Ein Mädchen, das Kitty für Glovers Enkelin hielt, führte ihn zum Fuß der Kanzelstufen und legte ihm die Hand auf das Geländer. Langsam, aber ohne einen Fehltritt stieg er hinauf und blickte über die Gemeinde hinweg. Das Kirchenschiff war voller Blumen: gelbe, bronze- und orangenfarbene Chrysanthemen, weiße und rosa Dahlien, Gladiolen in allen Farben. Glover konnte sie nicht im einzelnen sehen; er machte unbestimmte Farbflecken aus, doch hatte man ihm von dem Blumenschmuck erzählt. Was man ihm nicht erzählt hatte (weil niemand es ihm sagen konnte) war der Umstand, daß die Blüten nach den Verhältnissen einer anderen Zeit klein und kümmerlich waren, nicht krank, nur ungepflegt. Hätte er dies gewußt, so wäre er dennoch froh gewesen, daß sie da waren. Im Kirchenraum herrschte beinahe völlige Stille, aber auch dies war ihm zwangsläufig nicht bewußt. Er versuchte seiner Stimme die Lautstärke zu verleihen, die bei der Probe am vorausgegangenen Abend für zufriedenstellend erklärt worden war; man konnte nicht erwarten, daß er solche Dinge nach fünfzig Jahren noch im Gedächtnis bewahrt hatte.
    »Wir sind die Kinder Gottes; so schreibt Paulus in seinem Römerbrief. Wie manche unter euch wissen werden, meine lieben Brüder und Schwestern im Herrn, will ich heute eine Predigt halten, das heißt eine Ansprache, eine Rede über Religion, über Gott und uns selbst. Es wird keine lange sein. Bitte hört aufmerksam zu, denn was ich euch zu sagen habe, ist sehr wichtig und sehr interessant!«
    Schon in dieser kurzen Einleitung war es Glover gelungen, in Schwung zu kommen, und er sprach klar und zuversichtlich, ob aus Übung oder aus Gewohnheit, es

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