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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Kasten aus Imitations-Sandelholz auf der Theke und zündete sie mit dem großen Feuerzeug an, das auch dort stand. Nachdem er die Bons abgezeichnet hatte, machte er es sich in einem Sessel am Fenster bequem. Das beleuchtete Zifferblatt der Uhr im Nebenraum zeigte zweiundzwanzig Minuten nach Mitternacht; nicht allzu spät, und er fühlte sich jetzt hellwach, obwohl darunter die alte Müdigkeit auf der Lauer lag. Er nahm die Zeitung vom Tisch, die Boris mitgebracht und dort liegengelassen hatte.
    Auf einmal wurden draußen furchtbare Schreie laut. Sie schienen aus einigen hundert Metern Entfernung zu kommen, hallten aber so klar durch die Nachtstille, daß sie mit aller Deutlichkeit zu hören waren. Dennoch konnte Alexander sie nicht identifizieren; tatsächlich hätte niemand aus den Geräuschen schließen können, ob sie von einem Mann oder einer Frau oder gar einem großen Tier kamen. Die Schreie hatten eine knirschende, zerreißende Qualität, als sei die Kehle, die sie herauspreßte, im Begriff, sich selbst zu zerstören.
    Innerhalb von fünf Sekunden war Alexander zur Tür hinaus und rannte über den Wiesenhang in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Sie dauerten unvermindert an, aber nun waren auch Stimmen zu vernehmen, ein aufgeregtes Durcheinander von Fragen, Verwirrung und Schrecken. Der Himmel war klar, und das matte Licht der Mondsichel wurde rasch verstärkt vom Lichtschein aus den umliegenden Gebäuden und einer Anzahl von Taschenlampen. Alles lief bei einem der Säulenpavillons zusammen, von denen es mehrere im Park gab. In einem anderen dieser Pavillons hatte er vor Wochen mit Theodor gesessen und Pläne geschmiedet. Er sah niedrige Steinstufen, auf denen ein grauuniformierter Mann lag, doch als er näher kam, wurde sein Blick von Dutzenden aufgeregter Gestalten versperrt, von denen viele halbnackt aus den Quartieren gelaufen waren. Auf der anderen Seite des Auflaufs brüllte jemand Befehle und versuchte die Leute zurückzuhalten: Viktor. Hinter ihm wurde der unaufhörlich schreiende Mann auf den Stufen von zwei anderen unter den Achseln und an den Beinen aufgehoben. Der nähere dieser Helfer blickte auf und sah Alexander, als dieser sich durch die Umstehenden gedrängt hatte.
    »Es ist Leo«, sagte Boris. Er mußte es rufen, um Gehör zu finden.
    »Ich war überzeugt, es hätte dich erwischt, Boris«, sagte Alexander, aber niemand konnte ihn hören. Wäre es möglich gewesen, so hätte man meinen können, es habe enttäuscht geklungen.
    »Zurück da, ihr Schweine!« Viktor schlug mit den Fäusten auf die Andrängenden ein. Er schien völlig nüchtern. »Unteroffizier, schicken Sie die Leute in die Quartiere zurück. Wo bleibt die Disziplin?« Dann sah er Alexander und rief ihm zu: »Lauf und verständige Major Yakir!«
    Wie sich zeigte, war Major Yakir bereits auf dem Weg zum Schauplatz des Geschehens: in Hemd, Hose und Pantoffeln, ohne Mütze und Uniformrock, kam er auf seinen kurzen Beinen den Abhang herabgeeilt.
    »Nun, was gibt es?«
    »Leo ist erschossen worden, Herr Major.«
    »Erschossen? Von wem?«
    »Ich weiß es nicht, Herr Major.«
    »Ist er schwer verletzt?«
    »Ich weiß es nicht, Herr Major.«
    Offiziere und Unteroffiziere trieben die murrenden Soldaten zurück zu ihren Quartieren. Leos Schreie kamen jetzt aus dem kleinen eingeschossigen Gebäude unweit der Stelle, wo er getroffen worden war, einem Lagerhaus voll von Zelten, Fahnen und Festdekorationen. Er wand sich auf einem provisorischen Lager aus Fahnentuch, wahrscheinlich nicht viel besser daran als dort, wo er vorher gelegen hatte. Man hatte ihm ein schmieriges Kissen unter den Kopf gesteckt und ihn mit einer bereits blutdurchtränkten Decke zugedeckt. Er schien von der Anwesenheit der anderen und seiner Umgebung nichts wahrzunehmen. Jeden Atemzug begleitete er mit kummervollem Stöhnen, jedes Ausatmen mit einem Schrei aus Leibeskräften. Von Zeit zu Zeit führte er die Hände zum Mund und dämpfte seine Schreie ein wenig, nahm sie aber jedesmal nach wenigen Sekunden wieder weg und drückte sie gegen seinen Bauch. Seine untere Gesichtshälfte war mit Blut beschmiert, das er von seiner Wunde dorthin übertragen hatte. Während eines dieser Intervalle schlug Major Yakir die Decke zurück. Von einem Punkt unterhalb des Brustbeins bis zum Unterbauch war die hellgraue Uniform mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten durchtränkt. Alexander sah, daß der Blutfluß aus einem Loch im Uniformstoff andauerte. Der Major deckte den

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