Das Auge des Leoparden
aussehen könnte.
Eine Schneewehe und ein angeketteter Elchhund vor dem Hintergrund unendlicher Wälder, denen er niemals entkommen wird.
Als er einmal allein in dem tickenden Haus ist, kommt ihm der Gedanke, die gesammelten Geheimnisse des pilzliebenden Dozenten und seiner zeitmessenden Mutter zu erforschen. Das könnte ich vielleicht zu meiner Lebensaufgabe machen, denkt er. Heimliche Beobachtungen. Ich nehme die Gestalt einer Wühlmaus an und breche aus meinem ausgeklügelten System von Geheimgängen hervor.
Aber in den Sekretären und Schränken ist nichts zu finden.
Er setzt sich zwischen die tickenden Uhren und versucht sich zu verstehen. Bis zu diesem Ort ist er von der Ziegelei und über den Bogen der Brücke gekommen. Aber was nun, wie weiter?
Soll er wirklich Jurist werden, Verteidiger der mildernden Umstände, nur weil er nicht zum Waldarbeiter taugt? Ich bin weder sanftmütig, noch fehlt es mir an Geduld, denkt er. Ich bin in einer Zeit geboren worden, in der sich alles teilt. Ich muß eine Entscheidung treffen, ich muß durchführen, was ich mir vorgenommen habe. Vielleicht könnte ich sogar meine Mutter wiederfinden? Auch meine Unentschlossenheit könnte ein Unterschlupf sein, aus dem ich schlimmstenfalls nicht mehr herausfinde.
An jenem Tag im April, als Großwildjäger Stenberg aus Tibro von den Parasiten in seinen Eingeweiden und den schwarzen Löwen in der Kalahari erzählt hat, erwartet ihn bei seiner Rückkehr in das Haus der Uhren ein Telegramm seines Vaters, der ihm mitteilt, daß er am nächsten Morgen mit dem ersten Zug in Stockholm eintrifft.
Hans Olofson wird wütend. Warum kommt er her? Er glaubte seinen Vater fest vertäut hinter den bewaldeten Hügeln. Warum kommt er her? Das Telegramm nennt keinen Grund.
Am nächsten Tag eilt er frühmorgens nach Stockholm und wartet auf dem Bahnsteig, als der Zug aus Nordschweden einfährt. Aus einem der hintersten Waggons lugt vorsichtig sein Vater heraus. In der Hand hält er den Koffer, den Hans Olofson benutzte, als er in die Provinzhauptstadt ging. Unter dem Arm trägt er ein in braunes Packpapier eingeschlagenes Paket.
»Sieh an, da bist du ja«, sagt Erik Olofson, als er seinen Sohn erblickt. »Ich wußte nicht, ob du mein Telegramm bekommen hast.«
»Was hättest du dann gemacht? Und was machst du überhaupt hier?
»Es geht mal wieder um diese Vaxholmsgesellschaft. Sie brauchen wieder einmal Seeleute …«
Hans Olofson geht mit seinem Vater in eine Cafeteria im Bahnhof.
»Kann man hier auch ein Bier bekommen?« fragt Erik Olofson.
»Nein, kein Bier. Du bekommst Kaffee. Jetzt erzähl schon!«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe ihnen geschrieben und eine Antwort bekommen. Um neun soll ich in ihrem Büro erscheinen.«
»Wo willst du wohnen?«
»Es wird schon irgendeine Pension geben.«
»Was hast du denn in dem Paket? Es tropft ja!«
»Einen Elchbraten.«
»Einen Elchbraten?«
»Ja.«
»Aber im Moment ist doch gar keine Jagdsaison.«
»Es ist jedenfalls ein Elchbraten. Er ist für dich.«
»Es tropft Blut aus dem Paket. Die Leute könnten meinen, daß du jemanden ermordet hast.«
»Wen denn?«
»Oh, mein Gott …«
Sie bekommen ein Zimmer im Hotel Zentral. Hans Olofson sieht seinem Vater beim Auspacken zu. Keines seiner Kleidungsstücke ist ihm unbekannt, er hat alles schon oft gesehen.
»Rasier dich ordentlich, ehe du da hingehst. Und kein Bier.«
Erik Olofson reicht ihm einen Brief, und er sieht, daß die Reederei ihren Sitz auf dem Strandvägen hat.
Nachdem Erik Olofson sich rasiert hat, machen sie sich auf den Weg.
»Ich habe mir ein Foto von Nymans Kindern ausgeliehen. Es ist so unscharf, daß man praktisch nichts erkennen kann. Das trifft sich doch gut, nicht wahr?«
»Hast du etwa immer noch vor, Bilder von den Kindern anderer Leute zu zeigen?«
»Seeleute sollen viele Kinder haben. Das gehört sich so.«
»Warum hast du das nicht meiner Mutter gesagt?«
»Ich wollte dich gerade nach ihr fragen. Du hast sie nicht zufällig gesehen?«
Hans Olofson bleibt abrupt stehen. »Wie meinst du das?«
»Ich frage nur.«
»Warum sollte ich sie gesehen haben? Wo sollte ich sie gesehen haben?«
»Hier wohnen doch viele Menschen. Irgendwo muß sie ja stecken.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst?«
»Dann reden wir nicht mehr davon.«
»Ich weiß doch nicht einmal, wie sie aussieht.«
»Aber die Fotos hast du doch gesehen, oder nicht?«
»Die sind doch fünfundzwanzig Jahre alt. Menschen verändern
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