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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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sich. Würdest du sie denn wiedererkennen, wenn sie jetzt auf der Straße auf dich zukäme?«
    »Natürlich würde ich sie erkennen.«
    »Nie im Leben.«
    »Dann reden wir nicht mehr davon.«
    »Warum hast du sie eigentlich nie ausfindig gemacht?«
    »Man läuft keinem hinterher, der sich einfach aus dem Staub macht.«
    »Aber sie war doch deine Frau. Meine Mutter.«
    »Das ist sie immer noch.«
    »Was soll das heißen?«
    »Wir sind nie geschieden worden.«
    »Behauptest du etwa, daß ihr immer noch verheiratet seid?«
    »Ich denke schon.«
    Als sie den Strandvägen erreichen und immer noch eine halbe Stunde Zeit haben bis neun Uhr, setzt sich Hans Olofson mit seinem Vater in ein Café.
    »Kann man hier auch ein Bier bekommen?«
    »Kein Bier. Du bekommst Kaffee. Und jetzt noch einmal von vorn. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und kenne meine Mutter nur von schlechten Fofografien. Ich weiß über sie nur, daß sie ihr Leben satt hatte und wegging. Ich habe mir Fragen gestellt, ich habe gegrübelt, ich habe sie vermißt, und ich habe sie gehaßt. Du hast nie etwas gesagt. Nichts …«
    »Ich habe mir auch meine Gedanken gemacht.«
    »Was du nicht sagst.«
    »Aber mir fehlen die Worte.«
    »Warum ist sie fortgegangen? Du mußt es doch wissen. Du mußt darüber genauso lange nachgegrübelt haben wie ich. Im Grunde deines Herzens hast du darauf gewartet, daß sie zurückkommt. Du mußt doch irgendeine Erklärung haben.«
    »Wieviel Uhr ist es?«
    »Du hast noch Zeit für eine Antwort!«
    »Sie muß ein anderer Mensch gewesen sein …«
    »Ein anderer als wer?«
    »Als ich glaubte.«
    »Und was hast du geglaubt?«
    »Daran erinnere ich mich nicht mehr.«
    »Oh, mein Gott …«
    »Es hat keinen Sinn, darüber nachzugrübeln.«
    »Fünfundzwanzig Jahre hast du ohne eine Frau gelebt.«
    »Was weißt du schon davon.«
    »Wie meinst du das?«
    »Das gehört jetzt nicht hierher. Wieviel Uhr ist es? Bei Reedereien muß man pünktlich erscheinen.«
    »Wer war es?«
    »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe mich gelegentlich mit Nymans Frau getroffen. Aber das bleibt unter uns. Nyman ist ein netter Kerl.«
    Hans Olofson traut seinen Ohren nicht. »Sind das etwa meine Geschwister?«
    »Wer?«
    »Das Foto von Nymans Kindern. Sind das meine Geschwister?«
    »Das sind doch Nymans Kinder.«
    »Wie willst du da so sicher sein?«
    »Ich will gar nichts. Ich sage nur, wie es ist …«
    Hans Olofson wartet in dem Café, während Erik Olofson sich bei der Reederei vorstellt. Mein Vater, denkt er. Offensichtlich weiß ich nichts über ihn.
    Nach einer halben Stunde ist Erik Olofson zurück.
    »Wie ist es gelaufen?«
    »Gut. Aber ich habe keine Stelle bekommen.«
    »Dann lief es also nicht so gut?«
    »Sie wollen sich wieder melden.«
    »Und wann?«
    »Sobald sie wieder Seeleute brauchen.«
    »Ich dachte, sie wollten jetzt jemanden einstellen?«
    »Dann haben sie wohl einen anderen genommen.«
    »Und du bist zufrieden?«
    »Ich habe viele Jahre gewartet«, erwidert Erik Olofson mit einer Stimme, die plötzlich schneidend geworden ist. »Ich habe gewartet und es so gewollt und dann fast schon aufgegeben. Aber jetzt habe ich es wenigstens versucht.«
    »Was wollen wir jetzt machen?«
    »Heute abend fahre ich nach Hause, aber jetzt will ich ein Bier.«
    »Was sollen wir den Rest des Tages machen?«
    »Ich dachte, du studierst an der Universität?«
    »Das tue ich auch. Aber jetzt bin ich schon hier, und wir haben uns lange nicht mehr gesehen.«
    »Was macht das Studium?«
    »Es läuft gut.«
    »Schön.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Welche Frage?«
    »Was möchtest du heute machen?«
    »Das habe ich doch schon gesagt. Ich möchte ein Bier trinken. Anschließend fahre ich wieder nach Hause.«
    Sie verbringen den Tag im Hotelzimmer. Die bleiche Herbstsonne scheint durch die Vorhänge.
    »Wenn ich ihr begegne«, sagt Hans Olofson, »was soll ich ihr dann ausrichten?«
    »Von mir nichts«, antwortet Erik Olofson entschieden.
    »Wie hieß sie vor eurer Heirat?«
    »Karlsson.«
    »Mary Karlsson oder Mary Olofson aus Askersund. Sonst noch was?«
    »Als Kind hatte sie einen Hund namens Büffel. Das hat sie mir einmal erzählt.«
    »Der Hund muß doch schon fünfzig Jahre tot sein.«
    »Jedenfalls hieß er Büffel.«
    »Ist das alles, was du über sie weißt?«
    »Ja.«
    »Ein verdammter Hund namens Büffel?«
    »Er hieß so, daran erinnere ich mich genau.«
    Hans Olofson begleitet seinen Vater zum Zug.
    Ich werde sie ausfindig

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