Das Auge des Leoparden
nächsten Zeit im Auge zu behalten, und fragt sie, ob sie nicht an der
Herrlichen Abendandacht
teilnehmen möchte. Aber sie schüttelt nur den Kopf und öffnet die Tür, um ihn aus dem Haus zu lassen. Er nickt und geht in den Sommer hinaus.
Janine ist in ihren Gedanken weit weg, und es wird lange dauern, bis sie zurückkehrt.
Hans Olofson stapft durch Löwenzahn und feuchtes Gras nach Hause. Als er unter den Stahlstreben auf der Brücke über den Fluß steht, ballt er die Hände zu Fäusten. »Warum hast du nicht gewartet?« ruft er.
Die Flaschenpost schaukelt zum Meer.
N ACH ZWEI STUNDEN FAHRT auf dem Weg zur Missionsstation in Mutshatsha ist der Zündverteiler des Wagens völlig verdreckt.
Sie haben in einer menschenleeren und verdorrten Landschaft gehalten. Hans Olofson steigt aus dem Auto, wischt sich über das staubbedeckte, verschwitzte Gesicht und läßt den Blick über den weiten Horizont schweifen.
Er bekommt einen Vorgeschmack auf die große Einsamkeit, mit der einen der schwarze Kontinent bisweilen konfrontiert. Harry Johanson muß das gleiche gesehen haben, denkt er. Er kam zwar aus der anderen Richtung, von Westen, aber es muß die gleiche Landschaft gewesen sein. Vier Jahre dauerte seine Reise, und als er endlich sein Ziel erreichte, war seine ganze Familie umgekommen. Der Tod gab die Entfernung in Zeit und Raum an. Vier Jahre, vier Tote …
Diese Art von Reisen gibt es heute nicht mehr, denkt er. Wie mit Pässen ausgestattete Steine in riesigen Katapulten werden wir durch die Welt geschleudert. Unsere Lebensspanne ist kaum länger als die unserer Vorväter, aber mit Hilfe unserer Technik haben wir sie verbreitert. Wir leben in einer Epoche, in der einem angesichts von Entfernungen und Zeit nur noch selten schwindlig wird.
Und doch ist das nicht die ganze Wahrheit, besinnt er sich. Es ist zehn Jahre her, seit ich Janine zum erstenmal von Harry Johanson, seiner Frau Emma und ihrer Reise zur Missionsstation in Mutshatsha erzählen hörte.
Jetzt bin ich fast am Ziel, und Janine ist tot. Es war ihr Traum, nicht meiner. Ich bin nur ein verkleideter Pilger, der den Spuren anderer folgt. Freundliche Menschen bieten mir eine Unterkunft an und verschaffen mir eine Mitfahrgelegenheit, so als wäre mein Auftrag wichtig.
Menschen wie dieser David Fischer, der sich jetzt über den Zündverteiler seines Auto beugt. Am frühen Morgen ist Werner Masterton auf David Fischers Hof gebogen. Wenige Stunden später sind sie bereits unterwegs nach Mutshatsha. David Fischer ist ungefähr in seinem Alter, von schmächtiger Statur und mit schütterem Haar. Er erinnert Hans Olofson an einen ängstlichen Vogel. Ständig schaut er sich um, als würde er befürchten, verfolgt zu werden. Aber er ist auf der Stelle bereit, Hans Olofson dabei zu helfen, nach Mutshatsha zu kommen.
»Die Missionare am Mujimbeji«, sagt er. »Ich bin noch nie dort gewesen, aber ich kenne den Weg.«
Warum stellt mir eigentlich niemand Fragen, denkt Hans Olofson. Warum will niemand wissen, was ich in Mutshatsha vorhabe?
Sie fahren in David Fischers rostigem Militärjeep durch den Busch. Das Verdeck ist festgespannt, aber der Straßenstaub dringt dennoch durch die Ritzen. Der Wagen mit Allradantrieb gerät im tiefen Sand immer wieder ins Schlingern.
»Der Verteiler wird bestimmt wieder verdrecken«, ruft David Fischer ihm durch den Motorenlärm zu.
Hans Olofson ist vom Busch umgeben. Ab und zu tauchen im hohen Gras Menschen auf. Vielleicht sind es auch nur Schatten, denkt er. Vielleicht bilde ich mir nur ein, sie zu sehen.
Dann ist der Zündverteiler wieder verdreckt, und Hans Olofson horcht in der drückenden Hitze in die afrikanische Stille hinein.
Wie in einer Winternacht in unserer Stadt, denkt er. Genauso still und verlassen. Dort war es die Kälte, hier ist es die Hitze. Trotzdem erinnert das eine an das andere. Ich konnte dort leben, ausharren. Also müßte ich auch hier leben können. Im Innern Nordschwedens aufgewachsen zu sein ist womöglich eine hervorragende Ausgangsbasis für ein Leben in Afrika …
David Fischer läßt die Motorhaube zufallen, wirft einen Blick über die Schulter und pinkelt. »Was weiß ein Schwede über Afrika?« fragt er unvermittelt.
»Nichts«, antwortet Hans Olofson.
»Wir, die wir hier wohnen, verstehen dieses neuerwachte Interesse an Afrika nicht ganz«, sagt David Fischer. »Ihr Europäer habt uns schon einmal im Stich gelassen. Jetzt kehrt ihr mit schlechtem Gewissen und als Heilsbringer der neuen
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