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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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besucht die einzelnen Klassen.
    Doch auf einmal steht Magister Törnkvist vor ihm, um ihm mitzuteilen, daß in der Abschlußklasse ein Schüler fehlt, Sture von Croona, der Sohn des Richters. Rektor Gottfried sieht auf die Uhr und beschließt, den Richter anzurufen.
    Aber erst als es schon Zeit wird, zur Kirche zu marschieren, eilt er ins Sekretariat und ruft in der Kanzlei des Gerichts an. Seine Hände sind verschwitzt, und so sehr er sich auch einzureden versucht, daß es für alles eine natürliche Erklärung gibt, macht er sich doch große Sorgen …
    Sture ist am Morgen schon früh aus dem Haus gegangen. Seine Mutter konnte ihn leider nicht begleiten, weil sie an einem schweren Migräneanfall litt. Natürlich ist Sture zur Schule gegangen, sagt der Richter am Telefon.
    Rektor Gottfried geht zur Kirche. Schon sind die letzten Kinder mit ihren Eltern auf dem Weg in die Kirchenvorhalle, und er stolpert und beschleunigt seine Schritte, während er zu verstehen sucht, was mit seinem Schüler Sture von Croona geschehen sein könnte.
    Aber erst als er das Buchgeschenk in der Hand hält, das für Sture vorgesehen ist, befürchtet er allen Ernstes, daß etwas passiert ist.
    Im gleichen Moment sieht er, daß die Türen der Kirche vorsichtig geöffnet werden. Sture, denkt er, ehe er erkennt, daß es Stures Vater ist, Richter von Croona.
    Rektor Gottfried spricht über die wohlverdiente Erholung, das Schöpfen neuer Kräfte, die Vorbereitung auf das kommende Schuljahr, mahnt zur Besinnung in den verschiedenen Lebensbereichen, und dann ist die Feier vorbei. Wenige Minuten später ist die Kirche menschenleer.
    Der Richter sieht ihn an, aber Rektor Gottfried kann nur den Kopf schütteln. Sture ist zur Abschlußfeier nicht erschienen.
    »Sture verschwindet nicht einfach so«, sagt der Richter. »Ich werde die Polizei einschalten.«
    Rektor Gottfried nickt zögernd, und seine Qualen steigern sich.
    »Vielleicht ist er ja doch …«
    Weiter kommt er nicht. Der Richter verläßt bereits mit zielstrebigen Schritten die Kirche.
    Aber es muß keine Suchaktion organisiert werden. Nur eine Stunde nach Schulschluß findet Hans Olofson seinen verschwundenen Freund.
    Sein Vater, der ihn zur Abschlußfeier begleitet hat, trägt bereits wieder seine Arbeitskleidung und ist zur Arbeit gegangen. Hans Olofson genießt die große Freiheit, die nun vor ihm liegt, und es zieht ihn wie immer zum Fluß.
    Er überlegt, daß er Sture gar nicht gesehen hat. Vielleicht ist er an diesem letzten Schultag zu Hause geblieben und hat seine Zeit lieber damit verbracht, dem Himmel einen unbekannten Stern zu entlocken?
    Hans Olofson setzt sich auf seinen Stein am Flußufer und denkt, daß es ihm im Grunde ganz recht ist, ein bißchen allein sein zu können. Der Sommer, der nun vor ihm liegt, erfordert einen Moment der Besinnung. Seit er den gewaltigen Bogen der stählernen Brücke bezwungen hat, fällt es ihm leichter, allein zu sein.
    Ihm fällt etwas auf, das unter der Brücke rot leuchtet. Er verengt die Augen zu Schlitzen und denkt, daß es ein Papierfetzen sein muß, der sich in den Zweigen am Flußufer verfangen hat.
    Als er nachschauen will, was dort so rot leuchtet, findet er Sture. Das Rote ist Stures Sommerjacke, und Sture selbst liegt am Ufer. Er ist von der Brücke gefallen und hat sich das Rückgrat gebrochen.
    Hilflos liegt er seit dem frühen Morgen dort. Er ist zeitig aufgewacht und hat beschlossen, heimlich den Brückenbogen zu besiegen. Alleine will er auskundschaften, welche Schwierigkeiten sich dort verbergen, um dann Hans Olofson zur Brücke zu begleiten und ihm zu beweisen, daß auch er die stählernen Streben bezwingen kann.
    In der feuchten Morgenluft eilt er zur Brücke und betrachtet lange die gewaltigen Bögen, ehe er losklettert.
    Irgendwann wird er übermütig und hebt allzu leichtsinnig den Oberkörper. Ein Windstoß taucht aus dem Nichts auf, Sture gerät ins Wanken, verliert den Halt und stürzt von der Brücke. Mit Wucht schlägt er auf dem Wasser auf, und einer der Steine im Flußbett bricht ihm das Rückgrat. Bewußtlos wird er von einem Strudel ans Ufer geworfen, und sein Kopf schaukelt über der Wasseroberfläche. Das kalte Flußwasser kühlt ihn aus, und als Hans Olofson ihn findet, ist er fast tot.
    Hans Olofson zieht ihn aus dem Wasser, spricht ihn an, ohne Antwort zu bekommen, und läuft schreiend in die Straßen des Städtchens.
    Während er am Flußufer entlangläuft, stirbt um ihn herum der Sommer. Das große

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