Das Auge des Leoparden
Zeit zurück.«
Hans Olofson fühlt sich plötzlich persönlich verantwortlich. »Mein Besuch ist völlig nutzlos«, erwidert er. »Ich bin bestimmt nicht gekommen, um hier jemanden zu erlösen.«
»Welches afrikanische Land bekommt die höchste Entwicklungshilfe aus Europa?« fragt David Fischer. »Es ist ein Rätsel. Wenn Sie die richtige Antwort wissen, sind Sie der erste, der es gelöst hat.«
»Tansania«, rät Hans Olofson.
»Falsch«, erwidert David Fischer. »Die Schweiz. Namenlose Nummernkonten, die mit Geldern aus der Entwicklungshilfe gefüllt werden, die Afrika nur auf der Durchreise erreichen. Und die Schweiz ist kein afrikanisches Land …«
Die Straße führt jetzt steil zu einem Fluß und einer klapprigen Holzbrücke hinab. Kinder baden in kleinen Gruppen im grünen Wasser, Frauen liegen auf den Knien und waschen Kleider.
»Neunzig Prozent dieser Kinder werden an Bilharziose sterben«, ruft David Fischer.
»Was kann man dagegen tun?« fragt Hans Olofson.
»Wer will schon zusehen, wie ein Kind stirbt, das nicht sterben müßte?« ruft David Fischer. »Sie müssen verstehen, daß wir genau deshalb so verbittert sind. Hätten wir weitermachen können wie bisher, wären wir auch noch mit diesen Darmparasiten fertiggeworden. Aber jetzt ist es zu spät. Als die Europäer uns im Stich ließen, haben sie auch die Chancen dieses Kontinents verraten, einer erträglichen Zukunft entgegenzugehen.«
David Fischer wird zu einer Vollbremsung genötigt, weil ein Afrikaner auf die Straße springt und mit den Armen fuchtelt, um mitfahren zu dürfen. Wütend hupt David Fischer und ruft dem Mann etwas zu, als sie an ihm vorbeifahren.
»Noch drei Stunden, dann sind wir da«, ruft er. »Ich hoffe, daß Sie wenigstens ein bißchen darüber nachdenken, was ich gesagt habe. Natürlich bin ich Rassist, aber ich bin kein dummer Rassist. Ich will nur das Beste für dieses Land. Ich bin hier geboren und hoffe, hier auch sterben zu dürfen.«
Hans Olofson versucht seine Anweisung zu befolgen, aber seine Gedanken schweifen ab, verlieren den Halt. Ich habe das Gefühl, in meinem Gedächtnis zu reisen, denkt er. Schon jetzt betrachte ich diese Reise aus der Distanz, als wäre sie eine ferne Erinnerung.
Es wird Nachmittag. Die Sonne scheint direkt in den Wagen. David Fischer hält an und schaltet den Motor aus.
»Ist es etwa wieder der Zündverteiler?« fragt Hans Olofson.
»Wir sind da«, erwidert David Fischer. »Das muß Mutshatsha sein. Der Fluß, den wir eben überquert haben, war der Mujimbeji.«
Als sich der Staub gelegt hat, taucht eine Ansammlung flacher grauer Gebäude um einen offenen Platz mit einem Brunnen in der Mitte auf. Das also war Harry Johansons Ziel, denkt er. Zu diesem Ort brach Janine in ihren einsamen Träumen auf … In einiger Entfernung sieht er einen alten weißen Mann, der sich ihnen langsam nähert. Um das Auto scharen sich nackte oder mit Lumpen behängte Kinder.
Der Mann, der auf sie zukommt, hat ein blasses, eingefallenes Gesicht. Hans Olofson beschleicht augenblicklich das Gefühl, hier alles andere als willkommen zu sein. Ich breche in eine in sich abgeschlossene Welt ein, mische mich in die Angelegenheiten der Schwarzen und der Missionare ein …
Hastig beschließt er, zumindest einen Teil der Wahrheit zu sagen. »Ich folge den Spuren Harry Johansons«, sagt er. »Ich stamme aus seinem Heimatland und suche Stätten, die an ihn erinnern.«
Der blasse Mann sieht ihn lange an. Dann bedeutet er Hans Olofson mit einem Kopfnicken, ihn zu begleiten.
»Ich warte, bis Sie mir Bescheid geben, daß ich fahren kann«, meint David Fischer. »Vor Einbruch der Dunkelheit schaffe ich es so und so nicht mehr zurück.«
Hans Olofson wird in einen Raum geführt, in dem sich ein Bett, ein gesprungenes Waschbecken und ein Kruzifix an der Wand befinden. Eine Eidechse verschwindet durch ein Loch in der Wand. Ihm sticht ein beißender Geruch in die Nase, den er nicht identifizieren kann.
»Bruder LeMarque ist auf Reisen«, sagt der blasse Mann mit gedämpfter Stimme. »Wir erwarten ihn morgen zurück. Ich werde jemanden mit Bettzeug zu ihnen schikken, der Ihnen zeigt, wo Sie etwas zu essen bekommen können.«
»Ich heiße Hans Olofson«, sagt er.
Der Mann nickt, ohne sich vorzustellen. »Herzlich willkommen in Mutshatsha«, erwidert er mit düsterer Stimme, ehe er geht.
In der Türöffnung stehen Kinder und beobachten ihn schweigend, aufmerksam.
Draußen läutet eine Kirchenglocke. Hans Olofson
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