Das Auge des Leoparden
Frauen mit Hacken in gebückter Haltung.
»Wo sind denn die Männer?« fragt er.
»Die Männer treffen wichtige Entscheidungen,
bwana
. Vielleicht sind sie auch dabei, afrikanischen Whisky zu brennen.«
»Wichtige Entscheidungen?«
»Wichtige Entscheidungen,
bwana
.«
Nachdem er gegessen hat, was ihm von dem hinkenden Mann vorgesetzt wurde, begibt er sich in den Schatten von Harry Johansons Baum.
Er versteht die Leere nicht, von der die Missionsstation geprägt ist und versucht sich einzureden, Janine hätte ihre lange Reise jetzt gemacht.
Die Untätigkeit macht ihn rastlos. Ich muß heimkehren, denkt er. Heimkehren zu dem, was ich tun muß, was immer das sein mag …
Als es schon dämmert, steht Amanda Reinhardt plötzlich in seiner Tür. Er hatte sich auf das Bett gelegt und war eingeschlafen. Sie ist klein und rundlich und hält eine Petroleumlampe in der Hand. Ihrem gebrochenen Englisch hört man an, daß sie aus Deutschland stammt. »Es tut mir leid, daß Sie allein bleiben mußten«, sagt sie. »Aber im Moment sind wir nur so wenige, und es gibt so viel zu tun.«
»Ich habe an Harry Johanson gedacht«, sagt Hans Olofson.
»An wen?« fragt sie.
Im gleichen Moment taucht ein aufgeregter Afrikaner aus der Dunkelheit auf und wechselt ein paar Sätze in einer Sprache mit Amanda Reinhardt, die Hans Olofson nicht versteht.
»Ein Kind liegt im Sterben«, sagt sie. »Ich muß gehen.«
Im Weggehen bleibt sie plötzlich stehen und dreht sich noch einmal zu ihm um. »Kommen Sie doch mit«, sagt sie. »Kommen Sie mit nach Afrika.«
Er steht auf, und sie laufen zum Krankenhaus, das zu Füßen von Harry Johansons Hügel liegt. Hans Olofson schreckt zurück, als er einen Raum voller Eisenbetten betritt. Einige wenige Petroleumlampen tauchen den Raum in ein diffuses Licht. Er sieht, daß überall kranke Menschen liegen. Auf den Betten, zwischen den Betten, unter den Betten. In mehreren Betten liegen Mütter und halten ihre kranken Kinder eng umschlungen. Kochtöpfe und Kleiderbündel versperren den Weg, und der durchdringende Geruch von Schweiß, Urin und Kot ist betäubend. In einem Bett aus gebogenen Eisenrohren, die mit Stahldraht zusammengehalten werden, liegt ein drei oder vier Jahre altes Kind. Um das Bett herum sitzen Frauen.
Hans Olofson entdeckt, daß auch ein schwarzes Gesicht bleich aussehen kann.
Amanda Reinhardt beugt sich über das Kind, legt eine Hand auf seine Stirn und spricht dabei mit den Frauen.
Das Wartezimmer des Todes, denkt er.
Die Petroleumlampen sind die Lichter des Lebens …
Auf einmal stoßen die Frauen, die um das Bett herum hocken, gemeinsam einen Schrei aus. Eine von ihnen, kaum älter als achtzehn Jahre alt, wirft sich über das Kind im Bett, und ihr Wehklagen ist so markerschütternd und herzzerreißend, daß Hans Olofson am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Das Jammern und die klagenden Schreie, die nun den Raum erfüllen, lähmen ihn. Mit einem einzigen riesigen Satz will er Afrika hinter sich lassen.
»So sieht der Tod aus«, flüstert Amanda Reinhardt ihm ins Ohr. »Das Kind ist gestorben.«
»Woran?« fragt Hans Olofson.
»An den Masern«, antwortet Amanda Reinhardt.
Die Schreie der Frauen werden lauter und dann wieder leiser. Nie zuvor hat er solche Stimmen der Trauer erlebt wie in diesem schmutzigen Raum mit seinem unwirklichen Licht. Sein Trommelfell wird von Hämmern bearbeitet.
»Sie werden die ganze Nacht klagen«, erklärt Amanda Reinhardt. »Bei der Hitze muß das Kind schon morgen begraben werden. Danach klagen die Frauen noch tagelang. Möglich, daß sie zwischendurch vor Erschöpfung ohnmächtig werden, aber sie machen immer weiter.«
»Ich hätte ein solches Wehklagen nicht für möglich gehalten«, sagt Hans Olofson. »Das muß der Urlaut des Schmerzes sein.«
»Die Masern«, meint Amanda Reinhardt. »Sie haben die Masern als Kind bestimmt auch gehabt, aber hier sterben die Kinder daran. Diese Leute kommen aus einem abgelegenen Dorf. Die Mutter hat ihr Kind fünf Tage lang durch den Busch getragen. Wäre sie früher gekommen, hätten wir es vielleicht retten können. Aber sie hat sich zunächst an den Medizinmann des Dorfes gewandt. Erst als es schon zu spät war, kam sie zu uns. Im Grunde sind es gar nicht die Masern, an denen die Kinder sterben. Sie sind vor allem unterernährt, ihre Widerstandskraft ist untergraben. Der Tod dieses Kindes steht am Ende einer langen Kette von Ursachen.«
Hans Olofson verläßt das Krankenhaus allein. Er hat sich
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