Das Auge des Leoparden
Amanda Reinhardts Petroleumlampe geliehen und beteuert, daß er den Weg auch allein findet. Die Schreie der wehklagenden Frauen folgen ihm. Vor seiner Tür sitzt Joseph an einem Feuer.
Ich werde mich an ihn erinnern, denkt Hans Olofson. An ihn und seine schönen Schwestern.
Am nächsten Tag trinkt er erneut Kaffee mit Patrice LeMarque.
»Was denken Sie jetzt über Harry Johanson?« fragt der Missionar.
»Ach, ich weiß nicht«, antwortet Hans Olofson. »Ich glaube, ich denke vor allem an das Kind, das gestern gestorben ist.«
»Ich habe es bereits beerdigt«, antwortet Patrice LeMarque. »Und die Pumpstation funktioniert auch wieder.«
»Wie komme ich von hier weg?« sagt Hans Olofson.
»Moses fährt morgen mit einem unserer Autos nach Kitwe. Er kann Sie mitnehmen.«
»Wie lange werden Sie hier bleiben?« fragt Hans Olofson.
»Solange ich lebe«, antwortet Patrice LeMarque. »Aber ich werde vermutlich nicht so alt wie Harry Johanson. Er muß etwas Besonderes gewesen sein.«
Im Morgengrauen wird er von Joseph geweckt.
»Jetzt fahre ich wieder nach Hause«, sagt Hans Olofson. »In einen anderen Teil der Welt.«
»Ich bleibe vor den Türen der Weißen,
bwana
«, antwortet Joseph.
»Grüß deine Schwestern von mir!«
»Das habe ich bereits getan,
bwana
. Sie sind traurig, daß Sie abreisen.«
»Warum verabschieden sie sich dann nicht von mir?«
»Das tun sie,
bwana
. Sie sagen auf Wiedersehen, aber Sie sehen sie nicht.«
»Eine letzte Frage, Joseph. Wann werdet ihr die Weißen aus dem Land jagen?«
»Wenn die Zeit reif dafür ist,
bwana
.«
»Und wann wird das sein?«
»Sobald wir beschließen, daß sie reif ist,
bwana
. Aber wir werden nicht alle
wazungu
aus dem Land jagen. Wer mit uns zusammen leben möchte, kann bleiben. Wir sind keine Rassisten wie die Weißen.«
Ein Jeep hält vor dem Haus, und Hans Olofson stellt seinen Koffer hinein. Moses, der Fahrer, nickt ihm zu.
»Moses ist ein guter Fahrer,
bwana
«, meint Joseph. »Er kommt nur manchmal von der Straße ab.«
Hans Olofson setzt sich auf den Beifahrersitz, und sie biegen auf die Straße.
Jetzt ist es vorbei, denkt er. Janines Traum und Harry Johansons Grab.
Einige Stunden später machen sie eine Pause, und Hans Olofson entdeckt, daß die beiden Leichen, auf die er in der Leichenhalle gestoßen war, auf der Ladefläche des Jeeps liegen. Ihm wird sofort schlecht.
»Ich soll sie zur Polizei in Kitwe bringen«, erläutert Moses, dem Hans Olofsons Entsetzen nicht entgangen ist. »Jedes Mordopfer muß von der Polizei untersucht werden.«
»Was ist passiert?«
»Sie waren Brüder. Sie wurden vergiftet. Ihre Maisfelder waren anscheinend ein bißchen zu groß geworden. Die Nachbarn wurden neidisch. Dann sind sie gestorben.«
»Woran?«
»Sie haben etwas gegessen. Daraufhin schwollen sie an, und ihre Mägen platzten. Es stank grauenvoll. Die bösen Geister haben sie getötet.«
»Glaubst du wirklich an böse Geister?«
»Natürlich«, antwortet Moses und lacht. »Wir Afrikaner glauben an Zauberei und böse Geister.«
Sie setzen ihre Fahrt fort.
Hans Olofson versucht sich einzureden, daß es sinnvoll ist, wenn er sein abgebrochenes Jurastudium wieder aufnimmt. Noch einmal klammert er sich an den Wunsch, Verteidiger der mildernden Umstände zu werden.
Aber im Grunde habe ich mir niemals wirklich klargemacht, was es bedeutet, sein Leben in Gerichtssälen zu verbringen, in denen ich zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden muß, denkt er.
Vielleicht würde es mir ergehen wie meinem Vater. Vielleicht würde ich Horizonte in einen Wald aus Paragraphen schlagen. Ich suche immer noch nach einem Ausweg aus der Verwirrung, von der meine Herkunft geprägt ist.
Die lange Reise neigt sich dem Ende zu. Bevor ich in Stockholm lande, muß ich eine Entscheidung getroffen haben, denkt er. Mehr Zeit bleibt mir nicht.
Er zeigt Moses den Weg zur Farm der Mastertons.
»Erst fahre ich Sie, dann fahre ich die Leichen«, sagt Moses.
Hans Olofson ist froh, daß Moses ihn nicht
bwana
nennt.
»Grüß Joseph von mir, wenn du zurück bist.«
»Joseph ist mein Bruder. Ich werde ihn grüßen.«
Am frühen Nachmittag sind sie da …
D AS MEER.
Eine blaugrüne Welle, die Richtung Ewigkeit rollt.
Vom Meer weht ein eisiger Wind landeinwärts. Ein Segelboot mit einem unsicheren Steuermann steht mit killenden Segeln auf den Wellenkämmen. Tang und Lehm senden ihre schwülen Gerüche herauf, und obwohl das Meer nicht so ist, wie er es sich vorgestellt hat, ist
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