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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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besaß jedoch enorme körperliche Kräfte. Außerdem hatte er ein hitziges Temperament. Es gibt hier ein paar alte Afrikaner, die sich noch an ihn erinnern. Wenn er wütend wurde, konnte er ein Elefantenbaby stemmen. Das stimmt natürlich nicht, aber als Bild für seine Kraft ist es treffend.«
    Patrice LeMarque stellt seine Kaffeetasse ab. »Ich werde Ihnen sein Grab zeigen«, sagt er. »Anschließend muß ich dann leider wieder an die Arbeit. Unsere Pumpstation ist defekt.«
    Sie folgen einem gewundenen Pfad, der einen Hügel hinaufführt. Hinter dichtem Gestrüpp sieht man hier und da den Fluß.
    »Gehen Sie nicht ohne Joseph an den Fluß«, sagt Patrice LeMarque. »Es gibt hier viele Krokodile.«
    Das Terrain flacht zu einer Plattform auf der Hügelkuppe ab. Dann steht Hans Olofson vor einem schlichten Holzkreuz.
    »Harry Johansons Grab«, erklärt Patrice LeMarque. »Alle vier Jahre müssen wir das Kreuz auswechseln, weil die Termiten es zerfressen. Aber er wollte ein Holzkreuz auf seinem Grab haben. Wir erfüllen ihm seinen letzten Wunsch.«
    »Wovon hat er eigentlich geträumt?« sagt Hans Olofson.
    »Ich glaube nicht, daß ihm viel Zeit zum Träumen blieb. Eine Missionsstation in Afrika bedeutet vor allem viel praktische Arbeit. Man muß Mechaniker, Handwerker, Bauer, Geschäftsmann sein. Auf all diesen Gebieten war Harry Johanson erfolgreich.«
    »Und was ist mit der Religion?«
    »Wir säen unsere frohe Botschaft auf dem Maisfeld aus. Das Evangelium kann man nicht verstehen, wenn es nicht in das alltägliche Leben eingebettet wird. Die Bekehrung ist eine Frage des Brotes und der Gesundheit.«
    »Aber trotz allem ist die Bekehrung doch das Entscheidende, nicht wahr? Wovon sollen die Menschen sich denn eigentlich abkehren?«
    »Von Aberglauben, Armut und Zauberei.«
    »Aberglaube leuchtet mir ein, aber nicht, daß sich jemand von seiner Armut abkehren kann.«
    »Die frohe Botschaft spendet Trost. Wissen bedeutet Lebensmut.«
    Hans Olofson denkt an Janine. »War Harry Johanson glücklich?« fragt er.
    »Wer weiß schon, was im Innern eines anderen Menschen vorgeht?« erwidert Patrice LeMarque.
    Sie nehmen den gleichen Weg zurück.
    »Ich bin Harry Johanson nie begegnet«, fährt Patrice LeMarque fort. »Aber er muß wirklich eine schillernde und eigenwillige Persönlichkeit gewesen sein. Je älter er wurde, desto weniger glaubte er zu verstehen. Er akzeptierte, daß Afrika eine fremde Welt für ihn blieb.«
    »Kann man beliebig lange in einer fremden Welt leben, ohne den Versuch zu machen, sie so umzugestalten, daß sie an die Welt erinnert, die man verlassen hat?«
    »Wir hatten hier einmal einen jungen Priester aus Holland. Mutig, stark und aufopferungsvoll. Aber eines Tages, aus heiterem Himmel, stand er beim Abendessen vom Tisch auf und ging geradewegs in den Busch hinein. Zielstrebig, so als wüßte er haargenau, wohin er unterwegs war.
    »Was ist dann passiert?«
    »Man hat ihn nie mehr gefunden. Es muß sein Ziel gewesen sein, spurlos zu verschwinden, niemals zurückzukehren. In seinem Innern ist etwas zerbrochen.«
    Hans Olofson denkt an Joseph und seine Schwestern und Brüder. »Was denken eigentlich die Schwarzen?« fragt er.
    »Sie lernen uns durch den Gott kennen, den wir ihnen nahebringen.«
    »Aber die Afrikaner haben doch eigene Götter. Was geschieht mit denen?«
    »Die verschwinden ganz von selbst.«
    Falsch, denkt Hans Olofson. Aber vielleicht muß ein Missionar ja die Augen vor gewissen Dingen verschließen, wenn er nicht den Mut verlieren will.
    »Ich werde Ihnen jemand zur Verfügung stellen, der Sie herumführen kann«, sagt Patrice LeMarque. »Leider sind fast alle, die hier draußen arbeiten, im Moment im Busch. Sie besuchen abgelegene Dörfer. Ich werde Amanda bitten, Ihnen alles zu zeigen.«
    Aber das Krankenhaus besichtigt Hans Olofson erst am Abend. Der blasse Mann, der im übrigen Dieter heißt, teilt ihm mit, daß Amanda Reinhardt, die Patrice LeMarque beauftragt hat, Hans Olofson herumzuführen, beschäftigt ist und sich entschuldigen läßt.
    Als er von Harry Johansons Grab zurückkehrt, sitzt Joseph vor seiner Tür. Es ist ihm anzusehen, daß er Angst hat.
    »Ich werde nichts verraten«, sagt er.
    »
Bwana
ist ein guter
bwana
«, erwidert Joseph.
    »Hör auf, mich
bwana
zu nennen!«
    »Ja,
bwana

    Sie gehen zum Fluß hinab und halten Ausschau nach Krokodilen, ohne welche entdecken zu können. Joseph zeigt ihm Mutshatshas große Maisfelder. Überall auf den Feldern arbeiten

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