Das Auge des Leoparden
hat. Der Leopard durchstreift sein Innerstes, und plötzlich sieht Hans Olofson Sture vor sich. Sie sitzen zusammen auf ihrem Stein am Fluß und beobachten ein Krokodil, das sich neben den mächtigen Fundamenten der Brücke auf eine Sandbank geschoben hat.
Auf einem Stahlträger balanciert Janine mit ihrer Posaune. Er versucht zu hören, was sie spielt, aber der nächtliche Wind verweht die Töne.
Schließlich gibt es nur noch das wachsame Auge des Leoparden, das ihn aus der Kammer des Traums heraus beobachtet.
Der Traum löst sich auf, und als er im afrikanischen Morgengrauen erwacht, kann er sich nicht mehr daran erinnern.
Es ist ein Tag Ende September 1969.
Hans Olofson wird mehr als achtzehn Jahre in Afrika verbringen.
II
Hühnerfarmer in Kalulushi
A LS ER IN DER DUNKELHEIT erneut die Augen öffnet, ist das Fieber abgeklungen. Geblieben ist nur ein klagender, heulender Ton in seinem Schädel.
Noch lebe ich, denkt er. Noch bin ich nicht tot. Bis jetzt hat die Malaria mich nicht besiegt. Vielleicht bleibt mir vor meinem Tod noch Zeit zu verstehen, warum ich gelebt habe.
Der schwere Revolver drückt gegen seine Wange. Er dreht den Kopf und spürt den kalten Lauf an seiner Stirn. Der schwache Pulvergeruch erinnert an Kuhdung, der auf einer Weide gebrannt hat, und sticht ihm in die Nase.
Er ist sehr müde. Wie lange hat er geschlafen? Wenige Minuten oder vierundzwanzig Stunden? Er weiß es nicht. Er lauscht in die Dunkelheit hinein, hört aber nur seine eigenen Atemzüge. Es ist unerträglich heiß, und das Bettuch kann nicht mehr alles aufsaugen, was er ausschwitzt.
Jetzt ist meine Chance gekommen, denkt er, bevor der nächste Fieberanfall einsetzt. Jetzt muß ich Luka finden, der mich verraten und den Banditen ausgeliefert hat, damit sie mir die Kehle durchschneiden. Jetzt kann ich ihn mir schnappen und einschüchtern, damit er auf seinen leisen Sohlen durch die Nacht läuft und Hilfe holt. Sie sind da draußen in der Dunkelheit mit ihren Maschinengewehren und Hacken und Messern und warten darauf, daß ich wieder Fieber bekomme, ehe sie hereinkommen und mich töten …
Doch letztlich ist es ihm egal, ob er an Malaria stirbt oder von Banditen umgebracht wird.
Er lauscht den Nachtgeräuschen. Frösche quaken, unten am Fluß grunzt ein Flußpferd.
Sitzt Luka etwa wartend vor meiner Tür, das schwarze Gesicht konzentriert, den Blick nach innen gewandt, den Stimmen der Ahnen lauschend, die in ihm sprechen? Und die Banditen? Wo warten sie? In dem dichten Hibiskusstrauch hinter dem Gartenpavillon, der letztes Jahr bei dem schweren Sturm umstürzte? Damals, als alle schon glaubten, die Regenzeit wäre vorbei?
Letztes Jahr, denkt er. Zehn Jahre hat er am Kafue gelebt. Oder fünfzehn, vielleicht sogar noch länger. Er versucht nachzurechnen, ist aber zu müde. Dabei wollte er vor seiner Heimreise nur ein paar Wochen bleiben. Was war geschehen? Selbst die Zeit verrät mich, denkt er.
Gestochen scharf sieht er sich vor unbegreiflich vielen Jahren auf dem Lusaka International Airport aus dem Flugzeug steigen. Der Beton war vollkommen weiß, die Hitze hing flimmernd über dem Flugfeld, und ein Afrikaner, der einen Gepäckkarren schob, lachte, als Hans Olofson Afrikas glühenden Boden betrat.
Er erinnert sich an seine Furcht, sein sofort erwachtes Mißtrauen Afrika gegenüber. Damals ging das Abenteuer verloren, von dem er seit seiner Kindheit geträumt hatte. Immer war er davon ausgegangen, daß er dem Unbekannten mit freiem und furchtlosem Kopf gegenübertreten würde, aber Afrika zerschlug diese Vorstellung. Als er aus dem Flugzeug stieg und plötzlich von schwarzen Menschen, fremden Gerüchen und einer unverständlichen Sprache umgeben war, sehnte er sich augenblicklich wieder nach Hause zurück.
Die Reise nach Mutshatsha, seine fragwürdige Pilgerfahrt zum Ziel von Janines Traum, führte er unter einem Zwang durch, den er sich selbst auferlegt hatte. Noch heute erinnert er sich daran, wie demütigend er es empfand, daß die Angst sein einziger Reisebegleiter war und alles andere in seinem Bewußtsein überschattete. Das Geld, das in seiner Unterhose klebte, das verängstigte Wesen, das sich in seinem Hotelzimmer verkroch.
Afrika bezwang das Abenteuer in ihm, als er zum erstenmal auf dem Boden des fremden Kontinents atmete, und er begann unverzüglich, seine Rückreise zu planen.
Fünfzehn oder zehn oder achtzehn Jahre später ist er immer noch da. Sein Rückflugticket liegt irgendwo in einer Schublade
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