Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
einem, denkt er und macht sich klar, daß er etwas sehr Ungewöhnliches erlebt.
    Vorsichtig ändert er die Körperhaltung. Seine Beine schmerzen, ein Stein bohrt sich in seinen Rücken.
    Plötzlich schreit klagend ein Nachtvogel in der Dunkelheit. Die Frösche verstummen, und er lauscht den Atemzügen, die ihn umgeben. Nur Musukutwanes kann er nicht hören.
    Werner Masterton macht eine Handbewegung, und das Gewehr gibt einen schwachen metallischen Laut von sich. Wie in einem Schützengraben, denkt er. In Erwartung des unsichtbaren Feinds.
    Kurz vor dem Morgengrauen gibt Musukutwane einen kaum hörbaren Kehllaut von sich.
    »Von jetzt an kein Laut, keine Bewegung«, flüstert Werner Masterton.
    Hans Olofson dreht vorsichtig den Kopf und puhlt mit dem Finger ein kleines Loch in die Laubwand. Judith Fillington atmet dicht an seinem Ohr. Ein fast nicht wahrnehmbarer Laut verrät ihm, daß Werner Masterton sein Gewehr entsichert hat. Langsam, wie der schwache Widerschein eines weit entfernten Lagerfeuers, schreitet die Dämmerung voran. Die Zikaden verstummen, der schreiende Nachtvogel ist fort.
    Auf einmal ist die Nacht vollkommen still.
    Der Leopard, denkt er. Wenn er sich nähert, kündigt die Stille ihn an. Durch das Loch in der Wand versucht er den Baum auszumachen, in dem der Tierkadaver hängt.
    Sie warten, aber nichts geschieht. Plötzlich ist es Tag, die Landschaft entschleiert.
    Werner Masterton sichert sein Gewehr. »Wir können nach Hause gehen«, sagt er. »Kein Leopard diese Nacht.«
    »Er ist dagewesen«, sagt Musukutwane. »Er kam kurz vor dem Morgengrauen. Aber er hat etwas geahnt und ist wieder verschwunden.«
    »Hast du ihn gesehen?« fragt Werner Masterton ungläubig.
    »Es war dunkel«, antwortet Musukutwane. »Aber ich weiß, daß er hier war. Ich sah ihn in meinem Innern. Er war mißtrauisch und ist nicht in den Baum geklettert.«
    »Wenn der Leopard hier war, muß es Spuren geben«, sagt Werner Masterton.
    »Es gibt Spuren«, antwortet Musukutwane.
    Sie schlängeln sich aus dem Unterstand und gehen zu dem Baum. Fliegen umschwirren das tote Kalb.
    Musukutwane zeigt auf die Erde.
    Die Spuren des Leoparden.
    »Er ist aus dem dichten Unterholz gekommen und um den Baum herumgeschlichen, um das Kalb aus verschiedenen Richtungen zu betrachten, ehe er sich ihm nähert. Plötzlich hat er kehrt gemacht und ist wieder im dichten Busch verschwunden.« Musukutwane liest die Spur, als hätte er eine Schrift vor sich.
    »Was hat ihn erschreckt?« fragt Judith Fillington.
    Musukutwane schüttelt den Kopf und streicht vorsichtig mit der flachen Hand über die Spur. »Er kann nichts gehört haben«, antwortet er. »Trotzdem wußte er, daß es gefährlich ist. Es ist ein altes und erfahrenes Männchen. Er lebt schon so lange, weil er schlau ist.«
    »Kehrt er in der nächsten Nacht zurück?« fragt Hans Olofson.
    »Das weiß nur der Leopard«, antwortet Musukutwane.
    Ruth Masterton erwartet sie mit dem Frühstück. »Keine Schüsse in der Nacht«, sagt sie. »Kein Leopard?«
    »Kein Leopard«, antwortet Judith Fillington. »Aber statt dessen habe ich vielleicht einen Verwalter gefunden.«
    »Tatsächlich?« sagt Ruth Masterton und sieht Hans Olofson an. »Könnten Sie sich vorstellen zu bleiben?«
    »Nur für kurze Zeit«, antwortet er. »Während sie nach einem geeigneten Mann sucht.«
    Nach dem Frühstück packt er seinen Koffer, und Louis trägt ihn zum wartenden Landrover hinaus.
    Erstaunt muß er sich eingestehen, daß er seine Entscheidung nicht bereut. Ich verpflichte mich zu nichts, verteidigt er sich. Ich gönne mir nur ein Abenteuer.
    »Vielleicht kommt der Leopard ja diese Nacht«, sagt er zu Werner Masterton, als er sich verabschiedet.
    »Musukutwane ist jedenfalls davon überzeugt«, antwortet er. »Wenn ein Leopard überhaupt eine Schwäche hat, dann besteht sie darin, daß er wie der Mensch ist. Es gefällt ihm nicht, eine bereits erlegte Beute verkommen zu lassen.«
    Werner Masterton verspricht, Hans Olofsons Rückflug zu stornieren.
    »Schauen Sie bald mal wieder vorbei«, sagt Ruth Masterton.
    Judith Fillington zieht eine schmutzige Mütze über ihre braunen Haare und hat Probleme, den ersten Gang einzulegen.
    »Mein Mann und ich sind kinderlos geblieben«, sagt sie plötzlich, als sie durch das Gatter der Farm davonfahren.
    »Ich konnte gestern nicht umhin, dem Gespräch zu folgen«, erwidert Hans Olofson. »Was ist denn eigentlich passiert?«
    »Stewart, mein Mann, kam als Vierzehnjähriger nach

Weitere Kostenlose Bücher