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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ist, und einen Hut mit breiter Krempe. Ihre Augen liegen unnahbar im Schatten unter der Krempe.
    »Warum verkaufst du nicht selber auf dem Markt?« fragt er.
    »Ich schränke mich ein, um zu überleben«, erwidert sie. »Ich breche auch so schon fast unter der Arbeitsbelastung zusammen.«
    Sie ruft Luka herbei und sagt etwas, was Hans Olofson nicht versteht.
    Warum klingen alle Weißen nur so ungeduldig, denkt er. Als wäre jeder Schwarze entweder ungehorsam oder einfältig.
    Luka kehrt mit einer schmutzigen Landkarte zurück, und Hans Olofson geht neben Judith in die Hocke. Mit dem Finger zeigt sie ihm auf der Karte, wohin die Eier geliefert werden, und er versucht sich die Namen einzuprägen: Ndola, Mufulira, Solwezi, Kansanshi.
    Judiths Hemd steht am Hals etwas offen. Wenn sie sich vorbeugt, sieht er ihre mageren Brüste. Die Sonne hat ein rotes Dreieck bis zum Nabel hinab gebrannt. Plötzlich richtet sie sich auf, als wäre ihr bewußt geworden, daß sein Blick nicht länger auf die Karte gerichtet war. Ihre Augen bleiben unter dem Hut verborgen.
    »Wir beliefern die Geschäfte der staatlichen Kooperative«, sagt sie. »Außerdem die Minengesellschaften, immer große Partien. Höchstens tausend Eier täglich gehen an örtliche Käufer. Jeder Angestellte bekommt ein Ei pro Tag.
    »Wie viele Menschen arbeiten hier?« erkundigt sich Hans Olofson.
    »Zweihundert«, antwortet sie. »Ich versuche mir alle Namen einzuprägen, indem ich ihnen den Lohn persönlich auszahle. Wer betrunken ist oder ohne triftigen Grund nicht zur Arbeit erscheint, bekommt etwas von seinem Lohn abgezogen. Ich spreche Verwarnungen aus und verhänge Bußgelder, ich entlasse und stelle ein. Mein Gedächtnis ist die Garantie dafür, daß niemand, den ich einmal entlassen habe, unter anderem Namen zurückkehrt und sich erneut einstellen läßt. Von den zweihundert Menschen, die hier arbeiten, sind zwanzig Nachtwächter. Wir haben zehn Hühnerställe. Jeder wird von einem Vorarbeiter und zehn Arbeitern versorgt, die in mehreren Schichten arbeiten. Außerdem gibt es Schlachter, Schreiner, Fahrer und Hilfsarbeiter auf der Farm. Nur Männer, keine Frauen.«
    »Was ist meine Aufgabe?« fragt Hans Olofson. »Jetzt weiß ich zwar, was die Hühner fressen und wohin die Eier geliefert werden. Aber was soll ich tun?«
    »Folge mir wie ein Schatten. Hör gut zu, was ich sage, und kontrolliere, daß meine Anweisungen befolgt werden. Alles, was man von ihnen verlangt, muß ständig wiederholt, erneut eingefordert, kontrolliert werden.«
    »Dann stimmt etwas nicht«, meint Hans Olofson. »Etwas, was die Weißen nicht verstanden haben.«
    »Du kannst die Schwarzen von mir aus gerne lieben«, entgegnet Judith. »Aber hör auf meinen Rat. Ich habe mein ganzes Leben unter ihnen verbracht. Ich spreche ihre Sprache, ich weiß, wie sie denken. Ich lasse Ärzte für ihre Kinder kommen, wenn ihre Medizinmänner versagt haben, ich bezahle ihre Beerdigungen, wenn kein Geld dafür da ist. Die begabtesten Kinder lasse ich auf meine Kosten zur Schule gehen. Wenn ihnen das Essen ausgeht, organisiere ich den Transport von Maissäcken zu ihren Behausungen. Ich tue alles für sie. Aber wenn einer von ihnen auch nur ein einziges Ei stiehlt und dabei erwischt wird, übergebe ich ihn der Polizei. Ich entlasse alle, die sich betrinken, und ich setze jeden Nachtwächter auf die Straße, der im Dienst schläft.«
    Hans Olofson erkennt allmählich das ganze Ausmaß des Dramas. Das Regiment einer einsamen Frau, Afrikaner, die sich unterwerfen, weil sie keine Alternative haben. Zwei verschiedene Formen der Armut, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Die Angst der Weißen, ihre beschnittene Existenz als überlebende Kolonialherren in einem ausgebrannten Imperium. Die Asche der Einsamkeit in einer neuen oder wiederauferstandenen schwarzen Kolonie.
    Die Armseligkeit der Weißen ist ihre Verletzbarkeit. Das Fehlen von Alternativen ist der Punkt, an dem sie sich mit den Afrikanern treffen, ohne es selber zu erkennen. Auch ein Garten wie dieser, in dessen Vegetation ein fast unkenntlich gewordener Traum von einem viktorianischen Park eingebettet liegt, ist ein befestigter Bunker.
    Judith Fillingtons letzte Bastion ist der Hut, der ihre Augen unergründlich macht.
    Die Armut und Verletzbarkeit der Schwarzen ist die Armut ihres Kontinents. Aufgebrochene und zerstückelte Lebensmuster, deren Ursprung sich im Nebel der Vorzeit verliert, ersetzt von den wahnsinnigen Architekten des

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