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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Verteidigungswälle. Die Gefängnisse der Weißen sind komfortabel, bleiben aber Gefängnisse, Bunker mit buckelnden Dienern.
    Seine Gedanken werden von Judith unterbrochen, die ihre Kaffeetasse betrachtet. »Das Geschirr ist ein Erinnerungsstück«, sagt sie. »Als Cecil Rhodes die Konzessionen für das Gebiet erhielt, das wir heute Sambia nennen, schickte er seine Angestellten in die Wildnis, um Abkommen mit den örtlichen Stammesführern zu schließen. Vermutlich wollte er sich nicht zuletzt ihrer Hilfe beim Aufspüren von Eisenerzvorkommen versichern. Doch diese Angestellten, die bisweilen jahrelang im Busch unterwegs waren, sollten darüber hinaus eine Vorhut der Zivilisation bilden. Jede Expedition war ausgerüstet, als würde man einen englischen Herrensitz mit Trägern und Ochsenkarren losschikken. Jeden Abend, wenn das Lager aufgeschlagen wurde, packte man das Porzellanservice aus. Ein Tisch mit einer weißen Tischdecke wurde aufgestellt, während Cecil Rhodes in seinem Zelt badete und die Abendgarderobe anlegte. Das Service hier gehörte einem dieser Männer, die den Weg für Cecil Rhodes’ Traum von einem englischen Territorium vom Kap bis Kairo ebnen wollten.
    »Jeder von uns hegt gelegentlich unmögliche Träume«, sagt Hans Olofson. »Aber nur die Verrücktesten versuchen, sie zu verwirklichen.«
    »Nicht die Verrückten«, widerspricht Judith. »Da irrst du dich. Nicht die Verrückten, sondern die Klugen und Vorausschauenden. Cecil Rhodes’ Traum war kein Ding der Unmöglichkeit, sein Problem war nur, daß er alleine kraftlosen und launischen englischen Politikern ausgeliefert war.«
    »Ein Imperium, das auf dem schwankendsten Grund errichtet ist, den man sich nur vorstellen kann«, sagt Hans Olofson. »Unterdrückung, Fremdheit im eigenen Land. Ein solcher Bau muß einstürzen, noch ehe er vollendet ist, denn es gibt etwas, woran man nicht vorbeikommt.«
    »Und das wäre?« fragt Judith.
    »Die Tatsache, daß die Schwarzen zuerst hier waren«, antwortet Hans Olofson. »Die Welt kennt eine ganze Reihe verschiedener Rechtssysteme, in Europa bildet beispielsweise das römische Recht den Ausgangspunkt. In Asien findet man andere Muster der Rechtssprechung, in Afrika wieder andere, und so weiter. Aber immer werden die Rechte der ursprünglichen Bevölkerung gewahrt, auch wenn die entsprechenden Gesetze politisch ausgelegt werden. Die nordamerikanischen Indianer wurden innerhalb von hundert Jahren fast vollständig ausgerottet. Dennoch waren ihre Rechte gesetzlich festgeschrieben …
    »Mein zweiter Philosoph«, unterbricht Judith ihn lachend. »Duncan Jones verliert sich auch gern in vagen philosophischen Betrachtungen, von denen ich nie ein Wort verstanden habe, auch wenn ich mir anfangs wirklich Mühe gegeben habe. Mittlerweile hat er sein Gehirn durch sein Trinken in ein Chaos verwandelt, sein Körper zittert, und er beißt sich die Lippen blutig. Kann sein, daß er noch ein paar Jahre lebt, ehe ich ihn begraben muß. Früher war er ein Mensch voller Würde und Tatkraft. Heute lebt er in einem kontinuierlichen Dämmerzustand aus Schnaps und Verfall. Die Afrikaner glauben, er wäre auf dem Weg, sich in einen heiligen Mann zu verwandeln. Sie fürchten sich vor ihm. Das macht ihn zum besten Wachhund, den ich mir denken kann. Und jetzt kommst du, mein nächster Philosoph. Verführt Afrika gewisse Menschen vielleicht zum Grübeln?«
    »Wo wohnt Duncan Jones?« fragt Hans Olofson.
    »Ich zeige es dir morgen«, antwortet Judith.
    Hans Olofson liegt in dem asymmetrischen Zimmer mit den Dachschrägen noch lange wach. In dem Raum hängt ein Geruch, der ihn an Winteräpfel erinnert. Ehe er das Licht löscht, beobachtet er eine große Spinne, die reglos an der Wand sitzt. Ein Balken im Dachgiebel ächzt, und plötzlich glaubt er, wieder im Haus am Fluß zu sein. Er horcht auf die Schäferhunde, die Luka aus dem Zwinger gelassen hat. Unruhig drehen sie eine Runde nach der anderen um das Haus.
    Es ist ja nur für kurze Zeit, denkt er. Ich bin ein zufälliger Besucher, der Menschen eine helfende Hand reicht, mit denen er nichts gemeinsam hat, die sich aber während seiner Reise nach Afrika dennoch seiner angenommen haben.
    Afrika haben sie aufgegeben, einander aber nicht. Das wird ihr Untergang sein …
    Im Traum zeigt sich der Leopard, auf den er eine Nacht zuvor in einem Unterstand vergeblich gewartet hat.
    Nun jagt der Leopard in den Höhlen seines Inneren und sucht eine Beute, die Hans Olofson zurückgelasssen

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