Das Auge des Leoparden
Afrika«, beginnt Judith Fillington. »Seine Eltern flohen vor der Depression von 1932 aus England, und ihre Ersparnisse reichten für eine einfache Fahrkarte nach Capetown. Stewarts Vater war Metzger und hatte Erfolg. Doch seine Mutter fing von einem Tag auf den anderen an, nachts Predigten für die schwarzen Arbeiter in ihren shantytowns zu halten. Sie wurde geisteskrank und nahm sich wenige Jahre nach ihrer Ankunft in Capetown das Leben. Stewart hatte Angst, wie seine Mutter zu werden. Jeden Morgen nach dem Aufwachen suchte er nach Anzeichen dafür, daß er anfing den Verstand zu verlieren. Er hat mich oft gefragt, ob ich fände, daß er sich merkwürdig verhalte oder etwas Seltsames sage. Ich glaube eigentlich nicht, daß seine Mutter ihm etwas vererbt hat, ich denke eher, daß seine Angst ihn krank gemacht hat. Nach der Unabhängigkeit und all den Veränderungen, die sie mit sich brachte, und den Schwarzen, die nun das Sagen haben sollten, verlor er jeglichen Lebensmut. Dennoch traf es mich aus heiterem Himmel, als er verschwand. Er hat keine Nachricht hinterlassen, nichts …«
Nach einer guten Stunde sind sie da. »Fillington Farm«, liest Hans Olofson auf einem morschen, an einen Baum genagelten Holzschild. Sie fahren durch ein Gatter, das von einem Afrikaner geöffnet wird, passieren Reihen flacher Hühnerställe und halten schließlich vor einem dunkelroten Backsteingebäude. Hans Olofson sieht, daß das Haus niemals fertig geworden ist.
»Stewart hat das Haus laufend verändert«, sagt sie. »Er riß ab und baute an. Er hat es nie gemocht und hätte es am liebsten ganz abgerissen und ein neues gebaut.«
»Ein Schloß mitten im afrikanischen Busch«, sagt Hans Olofson. »Ein seltsames Haus. Ich hätte nicht gedacht, daß es hier solche Häuser gibt.«
»Herzlich willkommen«, erwidert sie. »Du nennst mich Judith, und ich nenne dich Hans.«
Sie führt ihn zu einem großen und hellen Zimmer mit schiefen Winkeln und Dachschrägen. Durch das Fenster hat man Ausblick auf einen halb zugewachsenen Park mit morschen Gartenmöbeln. In einem Hundezwinger laufen unruhig Schäferhunde hin und her.
»Bwana«
, sagt jemand hinter ihm.
Ein Massai, fährt es ihm durch den Kopf, als er sich umdreht. So habe ich mir immer Kenyattas Männer vorgestellt. So müssen sie ausgesehen haben, die Mau-Mau-Krieger, von denen die Engländer aus Kenia vertrieben wurden.
Der Afrikaner vor ihm ist sehr groß, sein Gesicht strahlt Würde aus. »Mein Name ist Luka,
bwana
.«
Kann man einen Diener haben, der mehr Würde ausstrahlt als man selbst, denkt Hans Olofson. Einen afrikanischen Stammesführer, der einem das Bad einläßt?
Auf einmal steht Judith in der Tür. »Luka ist immer für uns da. Er erinnert mich an alles, was ich vergesse.«
Später, als sie auf den klapprigen Gartenmöbeln sitzen und Kaffee trinken, erzählt sie ihm mehr von Luka. »Ich traue ihm nicht«, sagt sie. »Er ist verschlagen, auch wenn ich ihm niemals nachweisen konnte, daß er etwas gestohlen oder mich angelogen hätte. Aber er tut natürlich beides.«
»Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten?« fragt Hans Olofson.
»Du mußt bestimmt auftreten«, antwortet Judith. »Afrikaner suchen immer nach deinem schwachen Punkt, lauern auf die Momente, in denen du dich schwach zeigst. Stecke ihm nichts zu, finde einen Grund, dich zu beschweren, wenn er deine Kleider zum erstenmal gewaschen hat. Auch wenn es gar nichts zu mäkeln gibt, weiß er dann, daß du Ansprüche stellst.«
Zwei große Schildkröten schlafen zu Hans Olofsons Füßen. Er hat Kopfschmerzen von der Hitze, und als er seine Kaffeetasse abstellt, sieht er, daß sein Tischchen ein ausgestopfter Elefantenfuß ist.
Hier könnte ich den Rest meines Lebens verbringen, denkt er plötzlich. Es ist ein spontaner Gedanke, der sich in seinem Bewußtsein festsetzt, ohne daß ihm ein Einwand einfiele. Ich könnte fünfundzwanzig Jahre meines Lebens hinter mir lassen und bräuchte mich nicht mehr mit meinen Erinnerungen quälen. Aber welche meiner Wurzeln würden bei dem Versuch verdorren, sie hierher umzupflanzen, in die rote Erde?
Wenn ich den nordschwedischen Ackerboden gegen den sandigen roten Boden hier eintauschen würde? Warum sollte ich auf einem Kontinent leben wollen, auf dem ein gnadenloser Abstoßungsprozeß im Gange ist? Afrika will, daß die Weißen verschwinden, das habe ich schon verstanden. Aber die Weißen harren aus und errichten mit ihrem Rassismus und ihrer Verachtung
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