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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Empires, die sich im Herzen der Regenwälder und auf den mit Elefantengras bewachsenen Ebenen abends einen Frack anzogen.
    Diese Kulissenwelt steht immer noch, und die Afrikaner versuchen in ihr die eigene Zukunft zu gestalten. Hat ihre Geduld denn nie ein Ende? Oder ist ihnen nur noch nicht klar, wie die Zukunft aussehen soll? Wie die Kulissen aufgelöst und weggeräumt werden können? Die Weißen, die im Land geblieben sind, haben ihren Untergang nur für kurze Zeit aufgeschoben.
    Aber was geschieht, wenn die Dämme brechen?
    Auf der Stelle arbeitet Hans Olofson Vorkehrungen für diesen Fall aus, einen Fluchtplan.
    Ich bin hier nur kurz zu Besuch, denkt er. Ich tue einer fremden Frau einen kleinen Gefallen, ganz so, als würde ich ihr nach einem Sturz auf der Straße wieder aufhelfen. Trotzdem bleibe ich stets außerhalb des eigentlichen Geschehens. Ich mische mich nicht ein, niemand kann mich verantwortlich machen
    Abrupt steht Judith auf. »An die Arbeit«, sagt sie. »Die meisten deiner Fragen kannst du dir nur selbst beantworten. Afrika gehört jedem allein, man besitzt es nie gemeinsam.«
    »Du weißt nichts über mich«, sagt er. »Über meine Herkunft, mein Leben, meine Träume. Dennoch bist du bereit, mir große Verantwortung zu übertragen. Von meiner schwedischen Warte aus ist das völlig unverständlich.«
    »Ich bin allein«, antwortet sie. »Verlassen von einem Mann, den ich nicht einmal zu Grabe tragen konnte. In Afrika leben heißt, stets selber die ganze Verantwortung übernehmen zu müssen …«
    Noch lange werden ihm die ersten Tage auf Judith Fillingtons Farm als eine unwirkliche Reise in eine Welt im Gedächtnis bleiben, von der er immer weniger zu verstehen glaubt, je mehr Einblick er in sie erhält. Umringt von den Gesichtern der schwarzen Arbeiter hat er das Gefühl, sich mitten in einer sich anbahnenden, aber noch nicht ausgelösten Katastrophe zu befinden.
    In diesen Tagen entdeckt er, daß Gefühle verschiedene Gerüche verströmen. Den Haß erahnt er in einem bitteren Geruch wie von Mist oder Essig. Überall, ganz gleich, wohin er Judith wie ein Schatten folgt, liegt dieser Geruch in der Luft. Selbst wenn er nachts aufwacht, ist der Geruch noch da und sickert schwach durch das Moskitonetz, das über seinem Bett hängt.
    Es muß etwas geschehen, denkt er. Ohnmacht und Armut führen zwangsläufig zu unbändiger Wut.
    Wenn man keine Wahl hat, dann hat man gar nichts, denkt er. Wenn jenseits der Armut nichts anderes als noch mehr Armut zu erkennen ist …
    Er denkt, daß er fortgehen und Afrika verlassen muß, ehe es dafür zu spät ist. Aber einen Monat später ist er immer noch da, liegt in seinem Zimmer mit den Dachschrägen und lauscht den Hunden, die unruhig um das Haus streunen. Jeden Abend, bevor er zu Bett geht, sieht er, wie Judith kontrolliert, daß Türen und Fenster verschlossen sind. Er beobachtet, daß sie das Licht im Zimmer löscht, ehe sie hineingeht und die schweren Vorhänge zuzieht. Ständig hält sie horchend mitten in einem Schritt oder einer Bewegung inne. Eine Schrotflinte und ein schweres Elefantengewehr nimmt sie jeden Abend mit in ihr Schlafzimmer. Tagsüber werden die Waffen in einem Stahlschrank eingeschlossen, und die Schlüssel trägt sie immer bei sich.
    Nach einem Monat wird ihm bewußt, daß er begonnen hat, ihre Angst zu seiner eigenen zu machen.
    In der schnell hereinbrechenden Dämmerung verwandelt sich das eigenartige Haus in einen stillen Bunker. Er fragt, ob sie einen Nachfolger gefunden habe, aber sie schüttelt nur den Kopf.
    »In Afrika braucht alles Wichtige viel Zeit«, antwortet sie.
    Ihm kommt der Verdacht, daß sie die Stelle niemals ausgeschrieben, nie Kontakt zu den Zeitungen aufgenommen hat, die ihr Werner Masterton vorgeschlagen hat. Aber er verzichtet darauf, seinen Verdacht vorzubringen.
    Judith Fillington nötigt ihm staunenden Respekt ab, vielleicht sogar Bewunderung. Er begleitet sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, beobachtet ihre unermüdlichen Anstrengungen, durch die täglich fünzehntausend Eier die Farm verlassen, und das trotz schrottreifer und mißhandelter Lieferwagen, trotz eines ständigen Mangels an Maisabfällen, aus denen das Futter größtenteils besteht, trotz plötzlich grassierender Viruserkrankungen, denen in einer einzigen Nacht sämtliche Hühner in einem der langgezogenen steinernen Ställe, in denen sie in ihren Käfigen zusammengepfercht sind, zum Opfer fallen können. Eines Nachts weckt sie ihn, reißt die

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