Das Auge des Leoparden
durch Steinwände können sie weder sehen noch hören.«
Er steht auf, und Luka folgt ihm. So nahe sind wir uns noch nie gewesen, denkt Hans Olofson. Jetzt vereint uns die Angst. Auch Luka fühlt sich bedroht. Weil er für einen Weißen arbeitet, sein Vertrauen und zahlreiche Vergünstigungen genießt? Sieht man in einem Schwarzen, der bei einem
mzungu
arbeitet, eine Art Verräter?
Luka setzt sich auf die Stuhlkante eines Küchenstuhls. »Worte wandern in der Dunkelheit,
bwana
«, sagt er. »Worte, die schwer zu verstehen sind. Aber sie sind da und kehren immer wieder. Jemand spricht sie aus, ohne daß man weiß, wessen Stimme spricht.«
»Wovon sprechen diese Worte?« fragt Hans Olofson.
»Sie sprechen von ungewöhnlichen Leoparden«, antwortet Luka. »Leoparden, die in Rudeln jagen. Der Leopard ist ein Einzelgänger, auch allein schon gefährlich. Leoparden in Rudeln sind noch viel gefährlicher.«
»Leoparden sind Raubtiere«, sagt Hans Olofson. »Die Leoparden suchen nach Beute?«
»In den Worten ist von Menschen die Rede, die sich im Schutz der Dunkelheit versammeln«, sagt Luka. »Menschen, die zu Leoparden werden und alle
wazungu
aus dem Land jagen wollen.«
Hans Olofson erinnert sich an etwas, das Peter Motombwane gesagt hat.
»Wazungu«
, sagt er. »Reiche Männer. Aber es gibt Schwarze und Weiße, die reich sind.«
»Die Weißen sind reicher«, antwortet Luka.
Eine Frage muß er noch stellen, auch wenn er Lukas Antwort bereits kennt. »Bin ich ein reicher Mann?« fragt er.
»Ja,
bwana
«, antwortet Luka, »ein sehr reicher Mann.«
Trotzdem werde ich bleiben, denkt er flüchtig. Wenn ich eine Familie hätte, würde ich sie fortschicken. Aber ich bin allein, ich muß bleiben oder alles aufgeben.
Er zieht Handschuhe an und bindet den Hundekopf los. Luka begräbt ihn am Fluß.
»Wo ist der Körper?« fragt Hans Olofson.
Luka schüttelt den Kopf.
»Ich weiß es nicht,
bwana
«, sagt er. »An einem Ort, wo wir ihn nicht sehen können.«
Nachts hält er von nun an Wache. Unruhig schläft er in einem Sessel hinter verbarrikadierten Türen. Entsicherte Waffen liegen auf seinem Schoß, Munition zum Nachladen ist an verschiedenen Stellen im Haus verteilt. Das Zimmer, in dem früher die Skelette lagerten, ist als seine letzte Bastion vorgesehen.
Tagsüber besucht er die umliegenden Farmen und verbreitet Lukas vage Geschichte von einem Leopardenrudel. Seine Nachbarn können das Bild vervollständigen, auch wenn von ihnen niemand eine Warnung erhalten hat.
Vor der Unabhängigkeit, in den fünfziger Jahren, gab es in Teilen des Copperbelt die sogenannte Bewegung der Leoparden. Eine Untergrundbewegung, die Politik und Religion verquickte und drohte, zu den Waffen zu greifen, falls die Föderation mit Rhodesien nicht aufgelöst und Sambia in die Unabhängigkeit entlassen würde. Allerdings weiß niemand von einem Fall zu berichten, in dem die Bewegung tatsächlich Gewalt ausgeübt hätte.
Hans Olofson erfährt von den Farmern, die lange im Lande gelebt haben, daß hier im Grunde nichts jemals vergeht. Es ist nicht ungewöhnlich, daß eine lange untergetauchte politische und religiöse Bewegung wieder aktiv wird, was die Glaubwürdigkeit von Lukas Worten noch erhöht.
Hans Olofson lehnt Freiwillige als Verstärkung in seinem Haus ab. Sobald es dämmert, verbarrikadiert er sich und ißt allein, nachdem er Luka nach Hause geschickt hat.
Er wartet darauf, daß etwas geschieht. Die Müdigkeit zermürbt ihn, die Angst frißt tiefe Löcher in seine Seele. Dennoch ist er fest entschlossen zu bleiben. Er denkt an Joyce und ihre Töchter. Menschen, die jenseits aller Untergrundbewegungen leben und täglich aufs neue um ihr eigenes Überleben kämpfen müssen.
In den langen, einsamen Nächten trommeln heftige Regengüsse auf das Dach herab.
Eines Morgens steht ein Weißer vor seinem Haus, ein Mann, den er noch nie gesehen hat. Überrascht hört Hans Olofson, daß der Mann ihn auf schwedisch anspricht.
»Ich bin gut vorbereitet«, sagt der Fremde und lacht. »Ich weiß, daß Sie Schwede sind. Sie heißen Hans Olofson.«
Der Mann stellt sich als Lars Håkansson vor und erklärt, er sei als Entwicklungshelfer im Auftrag von SIDA tätig, der staatlich-schwedischen Entwicklungshilfebehörde. Er soll den Aufbau eines Netzes von lokalen Sendern für Telekommunikation überwachen, das aus schwedischen Mitteln finanziert wird. Er ist nicht einfach nur vorbeigekommen, um einen Schweden zu besuchen, der zufällig in
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