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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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stets gleichbleibend demütigen Gruß.
    Eine weitere Eierlieferung wird von Menschen geplündert, die eine Barrikade auf der Straße nach Ndola errichtet haben. In Lusaka und Livingstone werden indische Geschäfte gestürmt und niedergebrannt.
    Nach Einbruch der Dunkelheit kommt keiner der Nachbarn mehr zu Besuch, es tanzen keine Autoscheinwerfer mehr durch die Dunkelheit. Die Wolkenbrüche gehen auf die isolierten Häuser nieder, und alle warten darauf, daß wieder ein Finger aus der Dunkelheit in eine bestimmte Richtung zeigt. Heftige Gewitter ziehen über Kalulushi auf. Hans Olofson liegt wach, die Waffen neben sich im Bett.
    Eines Morgens, kurz nach Ruth und Werners Beerdigung, als Hans Olofson die Küchentür öffnet, um Luka nach einer weiteren schlaflosen Nacht ins Haus zu lassen, sieht er Lukas Gesicht sofort an, daß etwas passiert ist. Sein unergründliches und würdevolles Gesicht ist verändert. Zum erstenmal sieht Hans Olofson, daß selbst Luka Angst haben kann.
    »Bwana«
, sagt er. »Es ist etwas passiert.«
    »Was«, ruft Hans Olofson, und seine Angst steigert sich.
    Noch ehe Luka antworten kann, entdeckt er es selbst. Etwas ist an den Stamm des Mangrovenbaums gebunden worden, der ihm in der Auffahrt zum Haus direkt gegenübersteht, ein Baum, den Judith Fillington und ihr Mann vor vielen Jahren gepflanzt haben. Erst kann er nicht erkennen, was es ist, dann ahnt er es, weigert sich jedoch zu glauben, was er befürchtet. Den Revolver in der Hand, nähert er sich vorsichtig dem Baum.
    Mit Stacheldraht ist ein Schäferhundkopf am Baumstamm festgezurrt worden. Es ist der Hund, den er von Ruth und Werner Masterton bekommen und Sture getauft hat. Der Hundekopf grinst ihn an, die Zunge ist herausgeschnitten worden, die Augen stehen offen und sind starr.
    Der Finger hat wieder in der Dunkelheit gezeigt, denkt Hans Olofson verzweifelt. Lukas’ Angst, er muß wissen, was das zu bedeuten hat. Ich bin umzingelt von verrückten Wilden. Ich komme nicht an sie heran, verstehe ihre barbarischen Zeichen nicht.
    Luka sitzt auf der Steintreppe zur Terrasse. Hans Olofson sieht, daß er vor Angst zittert. Auf seiner schwarzen Haut glänzt der Schweiß.
    »Ich werde dich nicht fragen, wer das getan hat«, sagt Hans Olofson. »Ich kenne deine Antwort schon. Du wirst sagen, daß du es nicht weißt. Ich glaube auch nicht, daß du es warst, weil ich dir ansehe, daß du Angst hast, und ich denke nicht, daß deine eigenen Untaten dich zittern lassen würden. Zumindest würdest du dich mir gegenüber nicht verraten. Aber ich möchte, daß du mir erklärst, was das zu bedeuten hat. Warum enthauptet jemand meinen Hund und bindet den Kopf nachts an einen Baum? Warum schneidet man einem Hund die Zunge heraus, der bereits tot ist und nicht mehr bellen kann? Man will mir damit sicher etwas sagen. Oder reicht es, wenn ich Angst habe?«
    Lukas Antwort kommt stockend, so als wäre jedes Wort eine Mine, die zu explodieren droht. »Der Hund war ein Geschenk von toten Menschen,
bwana
«, sagt er. »Jetzt ist auch der Hund tot. Nur sein Besitzer lebt noch. Einen Schäferhund halten sich die
wazungu
, um sich zu schützen, denn Afrikaner haben Angst vor Hunden. Aber wer einen Hund tötet, zeigt dadurch, daß er keine Angst hat. Tote Hunde schützen keine
wazungu
mehr. Die herausgeschnittene Zunge hindert den toten Hund daran, anzuschlagen …«
    »Die Menschen, die mir den Hund geschenkt haben, sind tot«, sagt Hans Olofson. »Das Geschenk ist enthauptet worden. Bleibt nur noch der Beschenkte. Das letzte Glied in der Kette lebt noch, ist aber wehrlos. Ist es das, was du mir sagen willst?«
    »Leoparden jagen im Morgengrauen«, murmelt Luka.
    Hans Olofson schaut ihm in die Augen, die weit aufgerissen sind, weil etwas in seinem Innern vorgeht.
    »Das waren keine Leoparden«, erwidert Hans Olofson. »Das waren Menschen wie du, Schwarze. Kein
mzungu
würde einen abgehackten Hundekopf an einen Baum binden.«
    »Die Leoparden jagen«, murmelt Luka wieder, und seine Angst ist nicht gespielt.
    »Leoparden«, sagt Hans Olofson leise. »Menschen, die sich in Leoparden verwandelt haben? Sich in ihre Felle kleiden? Um unverletzbar zu werden? Waren es etwa Menschen in Leopardenfellen, die Ruth und Werner Masterton nachts heimgesucht haben?«
    Lukas Furcht steigert sich bei seinen Worten noch.
    »Leoparden sehen, ohne gesehen zu werden«, fährt Hans Olofson fort. »Können sie auch weit entfernte Geräusche hören? Den Menschen von den Lippen ablesen? Aber

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