Das Auge des Leoparden
die Futtervorräte, die Qualität der Eier. Mit seinem Fahrer studiert er Landkarten und arbeitet alternative Routen aus, um zu verhindern, daß weitere Transporte geplündert werden. Er sieht die Berichte der Vorarbeiter und die Listen über abwesende Arbeiter durch, ermahnt einige von ihnen und entläßt einen Nachtwächter, der wiederholt betrunken zum Dienst erschienen ist.
Das kann ich, denkt er. Zweihundert Menschen arbeiten auf meiner Farm, über tausend Menschen leben davon, daß es den Hühnern gutgeht und sie ihre Eier legen. Ich stelle mich meiner Verantwortung und sorge dafür, daß alles funktioniert. Wenn ich mich von den sinnlosen Morden an Ruth und Werner Masterton und meinem Hund einschüchtern lasse und fortgehe, werden tausend Menschen in Unsicherheit, Armut, vielleicht sogar Hunger gestürzt.
Diese Männer, die sich als Leoparden verkleiden, wissen nicht, was sie tun. Im Namen der politischen Unzufriedenheit stoßen sie ihre eigenen Leute in den Abgrund.
Er schiebt die verschmierten Berichte der Vorarbeiter zur Seite, legt die Füße auf einen Stapel Eierkartons und denkt über einen spontanen Einfall nach.
Ich werde ein Gegenfeuer anlegen, denkt er. Selbst wenn sich nicht mehr alle Afrikaner vor Schäferhunden fürchten, haben sie doch großen Respekt und große Furcht vor Menschen, die Mut zeigen. Vielleicht ist es Werner Masterton zum Verhängnis geworden, daß er nicht mehr hart genug war. Vielleicht war er nur noch ein nachgiebiger alter Mann, der sich vor allem mit seinen Problemen beim Pinkeln beschäftigte.
Er hat einen rassistischen Gedanken. Afrikaner haben Instinkte wie Hyänen, überlegt er. In Schweden ist Hyäne ein Schimpfwort, ein Ausdruck für verabscheuungswürdige Schwäche, für einen Menschen, der wie ein Parasit lebt. Die Afrikaner dagegen finden die Jagdmethode der Hyänen ganz normal. Eine Beute, die von anderen zurückgelassen wurde, ist etwas Begehrenswertes. Man stürzt sich auf ein verletztes und wehrloses Tier. Vielleicht hat sich Werner Masterton nach all den Jahren wie ein angeschossenes Tier verhalten. Die Schwarzen sahen es und schlugen zu. Ruth konnte ihnen keinen Widerstand leisten.
Er denkt an sein Gespräch mit Peter Motombwane zurück. Dann faßt er einen Entschluß und ruft einen der Kontoristen, die draußen warten, in sein Büro.
»Hol Eisenhower Mudenda her«, sagt er, »aber schnell.«
Der Mann bleibt unschlüssig stehen.
»Worauf wartest du noch?« schreit Hans Olofson. »Eisenhower Mudenda!
Sanksako!
Du bekommt einen Tritt in den
mataku
, wenn er in fünf Minuten nicht hier ist.«
Wenige Minuten später steht Eisenhower Mudenda in dem dunklen Verschlag. Sein Atem geht schnell, und Hans Olofson versteht, daß der Mann gelaufen ist.
»Setz dich«, sagt er und zeigt auf einen Stuhl. »Aber wisch erst deine Kleider ab. Ich will keinen Hühnerdreck auf dem Stuhl haben.«
Eisenhower Mudenda klopft sich hastig ab und hockt sich auf die Stuhlkante. Seine Verkleidung ist gut, denkt Hans Olofson. Er sieht aus wie ein unbedeutender alter Mann. Aber kein Afrikaner auf dieser Farm würde sich ihm widersetzen. Selbst Peter Motombwane hat Angst vor ihm.
Für einen Moment ist er unschlüssig und denkt, das Risiko sei zu groß. Wenn ich wirklich dieses Gegenfeuer anlege, bricht hier das Chaos aus. Aber er weiß, daß es sein muß, er hat sich entschieden. »Jemand hat einen meiner Hunde getötet«, sagt er. »Der Kopf war an einen Baum gebunden. Aber das weißt du natürlich längst, oder?«
»Ja,
bwana
«, antwortet Eisenhower Mudenda.
Dieser nichtssagende Gesichtsausdruck spricht Bände, denkt Hans Olofson. »Wir wollen offen miteinander reden, Eisenhower«, sagt er. »Du bist seit vielen Jahren auf meiner Farm. Tagaus, tagein bist du zu deinem Hühnerstall gekommen, unendlich viele Eier sind durch deine Hände gegangen. Ich weiß natürlich, daß du ein Zauberer bist, ein Mann, der
muloji
kann. Die schwarzen Arbeiter haben Angst vor dir, und keiner von ihnen würde es wagen, sich dir zu widersetzen. Aber ich bin ein
bwana
, ein
mzungu
, über den deine
muloji
keine Macht haben. Und nun möchte ich dich um einen Gefallen bitten, Eisenhower. Du solltest meine Worte als einen Befehl sehen, so als würde ich dir sagen, daß du an einem Tag arbeiten mußt, an dem du eigentlich frei hättest. Jemand auf dieser Farm hat meinen Hund getötet, und ich will wissen, wer es war. Vielleicht weißt du es ja schon. Aber ich will es auch wissen, und zwar bald. Wenn du
Weitere Kostenlose Bücher