Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
mit dem vollbeladenen Tablett in den Händen zurück ins Zimmer stolperte, platzte ich in einen Karaoke-Wettbewerb hinein. Tatjana sang aus voller Kehle ein Lied von Pink, während Luca dazu die Luftgitarre spielte. Der bandagierte Arm diente ihm als Instrument. Sie sahen aus wie zwei Rockmusiker im Drogenrausch.
    Von mir ließen sich die zwei gar nicht stören. Ich stellte Chips, Eisbecher und Waffeln auf den Tisch, aber nicht einmal das nahmen sie wahr. Fast kam ich mir vor wie ein Geist.

    „Was?“, fragte Tatjana.
    „Ach, nichts.“ Nachdem Luca endlich gegangen war, hatte ich es immerhin durchgehalten, eine halbe Stunde nicht mit ihr zu sprechen.
    Genervt schüttelte sie den Kopf. „Liss, jetzt stell dich nicht so an. Ich dachte, du freust dich, wenn ich ihn einlade.“
    „Du hättest mich fragen müssen!“
    „Wozu? Du hättest sowieso nein gesagt.“
    „Siehst du?“
    Tatjana gab nicht eine Handbreit nach. „Von wegen, siehst du. Du traust dich ja kaum, ihn anzuschauen. Wie ihr umeinander herumschleicht, ist kaum auszuhalten. Du solltest mir dankbar sein! Und stattdessen spielst du die beleidigte Leberwurst, nur weil wir Spaß hatten und du nicht. Niemand hat dich dazu gezwungen, danebenzusitzen und zu lesen. Du hättest ruhig mitmachen können.“
    Ich war fast zu verblüfft, um ihr zu widersprechen. „Wir schleichen … wie bitte?“
    „Er ist süß, gib’s zu!“
    „Genau wie Rico“, sagte ich. „Tatjana, hast du was verpasst? Ich bin mit Rico zusammen, nicht mit Luca.“
    „Ja, aber Rico ist ein Geist, und Luca ist so schön lebendig. Wenn man schon die Wahl zwischen einem Toten und einem Lebenden hat, da würde ich doch den richtigen Jungen nehmen.“
    Sie sahen fast gleich aus, aber sie waren zwei völlig verschiedene Personen. Rico war mir vertraut, Luca war mir fremd. Rico war einsam, Luca hatte Familie. Rico brauchte mich, Luca nicht. Eine böse Stimme in mir fügte hinzu: Rico hat versucht, dich umzubringen, Luca hat dich gerettet. Zählt das gar nichts? Aber auf diese Stimme wollte ich nicht hören. Dazu verstand ich Ricos Verzweiflung viel zu gut. „Jetzt reicht’s aber! Ich will überhaupt nichts von Luca.“
    „Aber er von dir“, behauptete sie. „Was hast du nur mit ihm gemacht? Der arme Junge wird ja schon rot, wenn er nur in deine Richtung guckt. Wir treffen uns morgen übrigens am Pool.“
    „Nein!“
    „Oh doch.“
    „Bestimmt muss er arbeiten“, wandte ich ein.
    „Er ist krank, schon vergessen? Außerdem sind Schulferien. Seine Eltern werden es schon überleben, wenn er mal nicht mithilft.“
    Ich versuchte nicht daran zu denken, wie Luca als Rockstar durchs Zimmer gesprungen war. Er passte viel besser zu Tatjana als zu mir. Und außerdem war er nicht Rico.
    „Wenn er krank ist, sollte er nicht tanzen. Und besser auch nicht in den Pool.“
    „In der Sonne liegen kann jeder“, trumpfte Tatjana auf. „Außerdem muss er so oft wie möglich herkommen. Vielleicht erinnert er sich dann daran, dass er als Kind hier gewohnt hat.“
    „Tatjana, er hat eine Familie. Er ist nicht Ricardo Meyrink.“
    „Liss“, sagte sie mitleidig, „jetzt tu doch nicht so. Wir wissen doch Bescheid. Wenn Rico Enrico ist, ist Luca Ricardo. Wir müssen ihn nur noch dazu bringen, sich zu erinnern.“
    Die Zwillinge waren zu klein gewesen. Mit Rico war es anders, er hatte jene dunkle Schreckenszeit nie wirklich hinter sich gelassen. Aber Luca? Er konnte sich nicht erinnern. Ich hatte ihn schon einmal gefragt, ob er adoptiert war, ein zweites Mal würde ich es nicht über mich bringen, in seinen Angelegenheiten herumzupfuschen.
    „Wir müssen die Wahrheit herausfinden“, sagte Tatjana. „Für Rico. Und für Luca.“
    Die Wahrheit. Eine Wahrheit, die sich, je näher sie heranrückte, umso schrecklicher für mich anfühlte. Meine Freundin hatte gut reden, schließlich ging es nicht um ihre Familie. Was würde ich machen, wenn ich Dinge herausfand, die ich gar nicht wissen wollte? So finstere Dinge, dass ich mir wünschen würde, ich wäre nie hergekommen?
    Ich versuchte, nicht an Onkel Vincent zu denken. Manche Wahrheiten sollte man lieber ruhen lassen.
    „Ich geh jetzt schlafen“, sagte Tatjana fröhlich. „Morgen sagen wir Luca, wer er ist, wenn er nicht von selber drauf kommt.“
    „Nein!“, rief ich entsetzt. „Das können wir nicht machen! Nicht, wenn es keine Beweise gibt. Du weißt selbst, dass die Aussage eines Geistes nicht zählt.“
    Tatjana war stets davon überzeugt, dass

Weitere Kostenlose Bücher