Das Auge des Sehers (German Edition)
aber im Stiftungsrat eine Kehrtwende geben.»
«Und warum?»
«Es ist ein offenes Geheimnis, dass Andrea Grossen mit Jason nicht auskommt.»
«Kennen Sie den Grund?»
«Es tauchen immer wieder Gerüchte auf. Andrea sei bei Jason abgeblitzt, was sie natürlich nicht goutiert habe. Dann schwirrt noch durch die Runde, dass Jason Arian lebendig beerben wollte. Der kleine Jason aus dem Hintergrund sägt am Stuhl von Arian. Daraufhin habe Andrea bei Jason einen Pfahl eingeschlagen. Aber wie gesagt, alles nur Gerüchte.»
«Und was denken Sie? Was ist wirklich geschehen?»
«Ich halte mich da raus. Eines stimmt, Andrea kann Jason nicht ausstehen, und sie wird sich im Stiftungsrat durchsetzen. Von daher ist klar, Alura wird Arians Nachfolgerin.»
«Und die Show geht dann weiter.»
«Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Kupfer. Ich befürchte leider etwas anderes. Es könnte nämlich durchaus sein, dass man mir am Freitag trocken mitteilt, dass es das gewesen ist. Aus die Maus.»
«Wie kommen Sie darauf?»
«Die Stiftungsräte sind keine Wohltäter. Wenn sie jetzt einen Schlussstrich unter die Sache ziehen, können sie Arian noch einige Zeit ausschlachten. Das Auge, Videos, T-Shirts, Kerzen, heilende Steine, Devotionalien aller Art. Eben alles, was sich über die Sendung im grossen Stil verkaufen lässt. Ich kann Ihnen versichern, das läuft tierisch. Jetzt nach seinem Tod werden die Umsätze nochmals nach oben schnellen. Absolut pervers! Aber so ist das eben.»
«Der Stiftungsrat könnte mit einer guten Nachfolgeregelung durchaus eine langfristige Lösung anstreben.»
«Ja, mit Risiko. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Alura das Charisma von Arian hat. Und ich befürchte, dass das die Stiftungsräte ebenso sehen. Umso dringender muss ich neue Kunden finden, sonst gehen hier bald die Lichter aus.»
Isabelle Gutmann sah nervös auf die Uhr.
«Wir wollen Sie nicht länger aufhalten. Falls wir noch etwas von Ihnen wissen möchten, melden wir uns.»
«Jederzeit! Nur nicht jetzt. Drücken Sie mir die Daumen.»
«Wenn wir schon hier sind, könnten wir doch den Nostramos einen Besuch abstatten, was meinst du?»
«Zu welchem Zweck, Nadine?»
«Um Jason und Irion kennenzulernen oder vielmehr um ihnen auf den Zahn zu fühlen.»
Der Überraschungsbesuch gelang, zumindest teilweise. Jason war zwar nicht in der Nostramo-Zentrale, aber Irion, der sie in ein kleines Büro führte. Im Fernsehen wirkte er grösser und korpulenter. Komisch. Vielleicht war das generell so, überlegte Ferrari. Jost Reber, alias Irion, plauderte selbstsicher drauflos. Seine Lebensgeschichte, reiches Elternhaus, Jurastudium, das er abbrach, um seiner wahren Berufung nachzukommen, schmückte er mit den verschiedensten Anekdoten aus.
«Und ich bereue es nicht. Arian ist ein Auserkorener gewesen», schwärmte er von seinem Meister.
Nadine, die mehrmals versuchte, seinen Redeschwall einzudämmen, verlor die Geduld.
«Können wir uns jetzt ein wenig über die letzte Sendung unterhalten?»
«Bitte», reagierte Irion pikiert.
«Wo waren Sie, als der Anruf mit der Morddrohung kam?»
«Ich sass hinter Arian. Die Sendung ist in verschiedene Themenkreise aufgeteilt. Eigentlich wären Rechtsfragen, also Streitereien unter Nachbarn, Freunden oder in der Familie behandelt worden. Aber so weit kam es ja dann nicht.»
«Wenn es um Lebensfragen ging, war Jason zuständig, und bei Rechtsfragen Sie?»
«In etwa.»
«Konnten Sie die Stimme erkennen, die Arian bedrohte?»
«Nein. Aber es ging auch alles so schnell. Bevor ich überhaupt richtig mitbekam, was da abläuft, war der Spuk vorbei.»
«Wie ging es danach weiter?»
«Arian verliess fluchtartig das Studio. Wir anderen sassen wie gewohnt noch zusammen.»
«Alle?»
«Ja.»
«Jason Untala auch?»
«Ich glaube schon … sicher bin ich mir allerdings nicht. Normalerweise geht er direkt nach der Sendung.»
«Es gab zwischen Arian und Andrea Grossen vor der Sendung einen Streit.»
«Woher … woher wissen Sie das?»
«Das spielt keine Rolle. Um was ging es bei diesem Streit?»
«Keine Ahnung. Das müssen Sie Andrea fragen.»
«Wie lange sind Sie im Studio geblieben?»
«Verdächtigen Sie etwa mich, Arian ermordet zu haben?»
«Reine Routinefrage.»
«Bis um halb zehn oder zehn. Ich wollte nicht allein sein. Das ging den anderen auch so.»
«Wer hat Arian ermordet?»
Irion kaute auf seiner Unterlippe herum. Er schien angestrengt nachzudenken.
«Ich … ich weiss es nicht, Frau Kupfer. Diese
Weitere Kostenlose Bücher