Das Auge des Sehers (German Edition)
Wohnungstür wurde einen Spalt breit geöffnet. Moser gab der Nachbarin zu verstehen, dass sie sich besser verziehen soll.
«Zum letzten Mal! Schliessen Sie sofort die Tür auf!», rief Ferrari.
Langsam drehte sich der Schlüssel im Schloss. Stephan Moser öffnete mit der Pistole im Anschlag und einem schnellen Ruck die Wohnungstür. Im Gang stand eine zierliche Frau, die langsam zu Boden sank. Umständlich drückte Moser seine Waffe in das Holster.
«Die Frau ist ohnmächtig, Francesco. Komm, wir legen sie aufs Bett.»
Vorsichtig trugen sie die Frau ins Schlafzimmer. Wenn ich dich brauche, bist du nicht da, Nadine!, haderte Ferrari. Die ungefähr fünfzigjährige Frau hustete und öffnete die Augen. Ängstlich sah sie zuerst zu Stephan Moser, dann zu Ferrari.
«Sie sind im Gang ohnmächtig geworden. Keine Angst. Wir sind von der Polizei.»
Ferrari setzte sich auf die Bettkante.
«Ruf bitte Nadine an, Stephan. Ich brauche sie.»
Die Frau richtete sich langsam auf.
«Ich heisse Francesco Ferrari. Ich bin von der Basler Polizei. Darf ich Ihren Namen wissen?»
«Susanne …. Susanne Im Obersteg. Was wollen Sie von mir?», hauchte sie. Ihre Stimme klang fein und irgendwie zerbrechlich.
«Wir ermitteln in einem Mordfall», begann der Kommissär unbeholfen. «Arian Nostramo. Sie haben sicher davon gehört.»
«Bitte gehen Sie. Es geht mir nicht gut.»
Moser winkte Ferrari zu sich in den Flur.
«Nadine kommt, aber sie ist verdammt sauer.»
«Hm! Das kann ja lustig werden.»
«Soll ich unseren Psychiater rufen?»
«Warten wir, bis Nadine da ist. Sie heisst Susanne Im Obersteg. Mehr konnte ich nicht aus ihr rausbekommen.»
«Die ist arg verängstigt.»
Ferrari brachte ihr ein Glas Wasser und setzte sich anschliessend zu Stephan Moser ins Wohnzimmer. Soll sich Nadine mit ihr unterhalten, von Frau zu Frau.
«Brauchst du mich noch, Francesco? Heute ist einiges los. Ich muss zum Petersplatz. Dort gab es eine Schlägerei zwischen Türken und Albanern.»
«Kein Problem. Ich komme schon klar.»
«Da bin ich mir nicht so sicher. Du hättest Nadine hören sollen.»
Nach einer halben Stunde läutete Nadine Sturm.
«Was soll das?! Kann man nicht einmal in Ruhe einen Abend mit einem Freund verbringen? Was gibt es denn so Wichtiges, dass du meine Hilfe brauchst?»
«Eine Frau wohnt hier. Sie heisst Susanne Im Obersteg. Und ich dachte, es ist besser, wenn du mit ihr redest.»
«Irgend so eine verstockte Kuh. Das fehlt mir gerade noch.»
«Jetzt hab dich nicht so, Nadine. Ich komme nicht an sie ran. Sie blockiert. Das schaffst du mit links. Aber bitte sei lieb zu ihr. Sie ist nämlich total verängstigt.»
«Ist sie verletzt? Wurde sie geschlagen?»
«Ich glaube nicht. Sie hat aber schreckliche Angst.»
Nadine strafte ihren Chef mit einem verächtlichen Blick, bevor sie leise die Schlafzimmertür öffnete. Susanne Im Obersteg lag weinend auf dem Bett und hob leicht den Kopf, als Nadine eintrat.
«Ich heisse Nadine Kupfer. Ich bin die Kollegin von Kommissär Ferrari. Sie sind Susanne?» Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sich Nadine zu ihr auf die Bettkante. «Wir möchten Ihnen helfen. Wollen Sie mir nicht sagen, weshalb Sie sich so fürchten?»
Susanne Im Obersteg setzte sich auf und zog die Beine eng an ihren Körper.
«Es ist kein gutes Leben. Jetzt, wo Arian tot ist, wird es noch schlimmer. Nun bin ich nicht mehr sicher vor ihm», flüsterte sie.
«Vor wem fürchten Sie sich?»
«Vor Walter. Mein Mann Walter hat Arian umgebracht, weil er ihm mit der Polizei drohte. Es ist alles meine Schuld …»
Ein Weinkrampf schüttelte die zierliche Frau. Nadine nahm sie in den Arm.
«Alles der Reihe nach, Susanne. Wie lange wohnen Sie schon hier?»
«Seit einigen Wochen. Arian stellte mir seine Wohnung zur Verfügung. Ich habe es zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten.»
Satz für Satz nahm die Geschichte Gestalt an. Zweifellos handelte es sich bei Susanne Im Obersteg um jene Person, die Arian um Hilfe angegangen war. Arian hatte versucht, zwischen ihr und ihrem Mann Walter zu vermitteln. Als er einsehen musste, dass sie keinen Schritt weiterkamen, bot er ihr seine Wohnung an. Daraufhin lauerte Walter Im Obersteg, ein freischaffender Grafiker, seiner Frau mehrmals am Arbeitsplatz auf. Bis eben zu jenem Tag, an dem ihm Arian mit einer Anzeige gedroht hatte.
«Ist er Ihnen nie gefolgt? Er wollte doch bestimmt wissen, wo Sie wohnen.»
«Ich war sehr vorsichtig und habe immer Umwege benutzt. Ich bin
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