Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
Hand, die sich durch die Gitterstäbe streckte, auf die Fotokopien, die sie ihm entgegenhielt. Er konnte sogar die Form der gotischen Minuskeln auf dem Schriftstück erkennen, einzelne Oberlängen, die über die Zeilen hinausragten. Schwarz hoben sich die Buchstaben von dem mattgrauen Untergrund ab, der die Tönung des Pergaments wiedergab.
    »Was soll das?«, krächzte er.
    »Die Originale behalte ich. Keine Sorge, die Kopien sind absolut hinreichend. Ich habe jedes einzelne Blatt geprüft. Sollte ich noch etwas entdecken, was auf den Ablichtungen unsichtbar ist, bekommst du Nachricht. Diesmal wird es wirklich fair zugehen. Diesmal, Fanelli, haben wir dieselben Voraussetzungen. - Diese Figuren …« Seine Handbewegung schloss Duarte, aber auch den Bassisten und die alte Dame ein. »Es sollte mich schon sehr wundern, wenn dir einer von
denen eine Hilfe sein könnte. Du!« Görlitz trat einen Schritt zurück. »Oder ich.«
    Amadeo blinzelte. Er hielt die Kopien in der Hand, konnte sich nicht erinnern, wann er zugegriffen hatte.
    »Du oder ich«, wiederholte Görlitz. Er stand bereits in der Tür, die von der Sakristei zurück in die Kirche führte. Seine Männer waren ebenfalls zurückgewichen, hielten aber nach wie vor ihre Waffen auf den Restaurator und seine Begleiter gerichtet. »Schreit ein wenig rum«, riet Görlitz. »Macht Rabatz. Euch wird schon jemand rausholen. Ich lass euch das Licht an, dann kannst du schon mal anfangen zu lesen.«
    »Was …« Amadeo musste sich an den Gitterstäben festhalten. »Aber warum …«
    »Du«, wisperte Görlitz. »Oder ich. Ich werde schneller sein, Fanelli, und ich werde auf dich warten.
    Und dann wirst du sterben.«

Tag fünf

Der Himmel über London, England
    Die Messerschmitt beschrieb einen Kurs, der den Flieger in einem großen Halbkreis noch einmal über die nördlichen und östlichen Stadtbezirke von Greater London hinwegführte.
    Wirklich genießen konnte Amadeo den Flug auch heute Morgen nicht, doch immerhin bekam er es fertig, das Meer der Häuser mit den einzeln verstreuten Inseln aus Grün zu betrachten, ohne dass ihm gleich wieder speiübel wurde. Wenn man dem Tod ins Auge geblickt hatte, relativierte sich einiges - selbst die Flugangst.
    Aus einer Höhe von einer halben englischen Meile wirkte Canons Park wie die Landschaft einer Spielzeugeisenbahn. Die weiten Rasenflächen mochten Matten aus fein aufgetragenen Sägespänen sein, die Kronen der Bäume winzige Fetzen aus gefärbtem Moos und die Dorfkirche von St. Lambert ein Bausatz im Format H0. Nur dass sich Fahrzeuge auf den Straßen bewegten - zumindest hier und da noch -, passte nicht ins Bild, und die Brände natürlich, die Rauchsäulen, die aus den verschiedensten Vierteln aufstiegen.
    Mit einer gewissen Erleichterung stellte Amadeo fest, dass die Straßenzüge, die er zum historischen Edgware zählte, von diesen Verheerungen nach wie vor ausgespart blieben. Er glaubte sogar das kleine Häuschen mit dem handtuchbreiten Grundstück und dem freundlichen Ziegeldach ausmachen
zu können, in dem sich für die nächsten Wochen eine sonderbare Wohngemeinschaft etabliert hatte: eine schrullige alte Dame vom Kirchenverschönerungsverein und ein leicht desorientierter Bassist. Doch in Wahrheit sahen dort unten alle Häuser sehr, sehr ähnlich aus, und nur die Farbe der Dächer variierte. Auf jeden Fall war es eine Gegend, in der man immer genau wusste, was beim Nachbarn mittags auf den Tisch kam. Plünderer würden es hier erst einmal schwer haben. Amadeo konnte sich einreden, dass ihr finster rockender Helfer an diesem Ort so sicher war, wie man nur sein konnte in diesen Zeiten - solange er ihrer Führerin beim Wäscheaufhängen half und pünktlich jeden Samstag den Rasen mähte. Sicherer jedenfalls, als wenn er versuchte hätte, sich quer durch die Stadt in die Docklands durchzuschlagen, wo er offenbar auch privat logierte.
    Die Maschine drehte ab. Fast unmerklich gewann der fliegende Oldtimer an Höhe. Der commandante vermied das Zentrum der Stadt und der Brände und flog über die östlichen Außenbezirke dem ländlichen Kent entgegen, auf die noch unsichtbare Meerenge von Dover zu.
    Italien. Es ging zurück nach Italien. Duarte hatte nicht mal nach den Gründen gefragt, als der Restaurator das Flugziel vorgegeben hatte - und Amadeo war froh darüber. Vielleicht, weil dieses Ziel bisher kaum mehr als eine Eingebung war, deren Logik er selbst noch irgendwie durchdringen musste.
    Der commandante steuerte den

Weitere Kostenlose Bücher