Das Babylon-Virus
für deine Betrügereien. - Du!« Die Augen in der zernarbten Wüste seines Gesichts durchbohrten Amadeo. »Oder ich! Wo ist das Depot? Hier im Raum?« Sein Blick kehrte zurück zu Styx. »Wo ist es?«
»I-ich …« Der Bassist konnte kaum sprechen, so sehr klapperten ihm die Zähne. Ein Held war er jedenfalls nicht. »Ich habe keine Planung! Es drischt die Hölle raus aus mir! Irgendwo hier, zu Füßen von der Skulptur, die segnend blickt auf uns herab …« Er zögerte. »Hinab?«
Kein Held, dachte Amadeo. Aber wissbegierig, selbst in diesem Moment noch.
»Der Boden«, murmelte Görlitz. Er betrachtete die hellen Fliesen. »Marmor«, sagte er nachdenklich. »Das wird nicht einfach.«
»Ich habe keine Waffe!«
Blinzelnd blickte Görlitz auf. Mit einer blitzartigen Bewegung hatte sich Amadeos Führerin vom Arm des commandante gelöst, war mit zwei Schritten im Durchgang zwischen Sakristei und Mausoleum und blockierte die Lücke im schmiedeeisernen Gitter - so gut das möglich war bei einer Größe von eins fünfzig.
»Nein, ich habe keine Waffe. Aber ich gehöre zu denjenigen, die jahrelang alles dafür getan haben, dass Cannons wieder ein Ort wird, für den sich das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland nicht schämen muss! Als dieses Mausoleum restauriert wurde durch unseren Verein, unsere Väter, unsere Ehemänner und Söhne, habe ich selbst meinen kleinen Teil dazu beigetragen. Nein, ich habe keine Waffe, aber ich schwöre Ihnen: Wenn Sie und Ihre Papistenfreunde es wagen, Hand an diesen Ort zu legen, dann wird der Allmächtige meine Hilfe nicht brauchen. Dann wird er selbst Sie strafen mit Donner und Blitzen!«
Amadeo war sprachlos. Spontan musste er an eine Reihe von Krimis denken, aus der Feder von Agatha Christie - über eine kleine alte Dame aus Paddington. Genau so hatte er sich Miss Marple vorgestellt. Ganz genau so: furchtlos, unbeugsam - und britisch, wie ein Mensch nur sein konnte.
Und nicht auf ihn allein schien ihr Auftritt Eindruck zu machen. Duartes Augenbrauen hatten sich ganz leicht gehoben, als die Dame die »Papistenfreunde« erwähnte, doch aus seiner Miene sprach Hochachtung. Styx dagegen sah eher zerknirscht aus. Und Görlitz …
»Restauriert?«, fragte Amadeos ehemaliger Kollege. Er klang ausgesprochen respektvoll, doch gleichzeitig glaubte der Restaurator ein seltsames Glitzern in seinen Augen wahrzunehmen.
»Restauriert.« Die Stimme der Alten hätte Stahl zerschneiden können. »Jahrelang. Diese Kirche war eine Ruine. Die Wände mussten mit Balken gestützt werden. Wir haben Spenden gesammelt im gesamten Vereinigten Königreich, ein Pfund um das andere: für die Wände. Für den Boden. Für das Dach. Für die Ausstattung.« Jedes Wort kam wie ein Hieb, und Görlitz wirkte tatsächlich …
Er sieht nicht eigentlich getroffen aus, dachte Amadeo, aber be troffen auf jeden Fall.
Der Mann mit dem entstellten Gesicht nickte. Seine Miene wirkte betreten. »Das war mir nicht bewusst«, sagte er leise. »Sie haben alles erneuert? Von den Fundamenten an?«
»So ist es. Wir …«
»Was haben Sie gefunden?« Die Worte der alten Dame waren wie Florettstiche gewesen. - Görlitz drosch mit dem Säbel zurück, plump, aber wirkungsvoll. »Wo haben Sie es hingebracht?« Der Lauf seiner Waffe bewegte sich, glitt von Amadeo zu der winzigen Gestalt der Führerin, verharrte dort aber nur eine Sekunde lang, bevor er sich auf Duarte richtete. »Möglicherweise muss ich ein wenig unterstreichen, wie wichtig mir die Antwort ist.«
Die Augen der Alten weiteten sich, gingen zu dem dunkelhäutigen Mann in der Soutane. »Nein! - Ich … Bitte, das dürfen Sie nicht.« Bebend wandte sie sich zu Amadeo um. »Das würde er doch nicht tun, oder?«
Amadeo biss sich auf die Lippen, betrachtete den Mann, der einmal fast so etwas wie ein Freund für ihn gewesen war. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er leise. »Aber ich fürchte …«
Die alte Frau schien noch eine Winzigkeit mehr in sich zusammenzusinken. Ruckartig drehte sie sich wieder um. »Sie wollen die Pergamente?«, fragte sie mit rauer Stimme. »Wenn ich sie Ihnen gebe, bekomme ich dann Ihr Wort als …« Sie brach ab.
Ihr Wort als Gentleman, dachte Amadeo. Das hatte sie sagen wollen. Doch man musste nicht mit dem archaischen britischen Ehrencodex aufgewachsen sein, um zu erkennen, dass Görlitz da die falsche Adresse war.
»Wenn Sie die Pergamente bekommen, schwören Sie mir bei Ihrem … bei Ihrem Glauben, dass Sie diese
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