Das Babylon-Virus
Horchverbindungen - ein weiteres Erbe der islamischen Architektur. Andererseits konnte Wand an Wand der Feind lauern, ohne dass auch nur das Geringste zu erlauschen war.
Nichts war zu hören. Amadeo nickte dem commandante zu: Weiter!
Sie kletterten weiter, ließen die Türöffnung hinter sich - und mit der Türöffnung ihre Gegner. Mit Sicherheit hatte Görlitz sich die Räume im ersten Stock vorgenommen, den Thronsaal - das war das Nächstliegende. Doch egal ob Eingebung oder logische Analyse: Amadeo war sich sicher, dass sie das Geheimnis dort nicht finden würden.
Licht von oben, Tageslicht, aber die beiden Männer kamen nicht etwa unvermittelt auf einer freien Dachterrasse an. Die Enge des steinernen Treppenhauses mündete in einen winzigen achteckigen Raum, der wie ein steinernes Sahnehäubchen auf dem südwestlichen Turm der Burganlage thronte.
»Das hier ist jünger als der Rest«, sagte Amadeo leise. »Kein historisches Erbe, sondern eine Art Schutzhäuschen für die Touristen. Eigentlich wollte ich raus aufs Dach, aber mit Sicherheit ist abgeschlo …«
Duarte hatte seine Waffe gezogen, setzte sie ans Schloss
einer eher unscheinbaren Pforte. »Gehen Sie ein paar Stufen runter!«, brummte er.
Amadeo gehorchte eilig. Zwei Sekunden später hörte er einen dumpfen Knall. Ganz gleich, wo sich Görlitz und seine Spießgesellen jetzt gerade aufhielten: Das mussten sie auf jeden Fall mitgekriegt haben.
Die Überreste der Tür hingen schief in den Angeln. Mit dem Fuß stieß der commandante sie auf. »Na, dann mal raus an die frische Luft«, murmelte er.
Sie war tatsächlich frisch, die Luft, wie Amadeo fröstelnd feststellte. Vor ein paar Minuten noch hatte sich über dem Kastell der unwirklich blaue Himmel gespannt, jetzt aber jagten von der Adria her zerrissene Wolkenfetzen heran. Amadeo versuchte sich im Windschatten der Schutzhütte zu halten, schloss mit klammen Fingern sämtliche verfügbaren Reißverschlüsse. Seine Regenjacke vom Schwielowsee war in Trastevere geblieben. Doch wichtiger als die Regenjacke war jetzt etwas anderes.
Die Stunde der Wahrheit. Seine Ahnung würde ein Stück weit Gewissheit werden - oder er würde sich eingestehen müssen, dass er ausgerechnet beim Code seines persönlichen Idols gescheitert war.
Ein Scheitern, das Konsequenzen haben würde. Plötzlich drangen wieder die Laute des Hämmerns zu ihnen, als wären Görlitz’ Schergen bereits dabei, Amadeos Schafott zu errichten.
Duarte war an die steinerne Turmbrüstung getreten. »Eindrucksvolle Aussicht.« Am westlichen Himmel, über den schroffen Graten der Basilicata, waren die Wolken noch nicht angekommen. Unwirkliches Licht lag auf den welligen Höhen des Horizonts.
Amadeo nickte. Umständlich hatte er sein neues Handy zum Vorschein gebracht, warf einen Blick aufs Display.
Alles war bereit. Er war sich nicht sicher, auf wen das Gerät überhaupt angemeldet war und wer nun die Kosten für den Download übernehmen würde - vermutlich Duartes und Rebeccas kurialer Arbeitgeber -, aber auf jeden Fall schien alles geklappt zu haben.
»Südwest, denke ich«, grübelte der Restaurator. »Westsüdwest vielleicht.«
Der commandante s ah ihn fragend an.
»Wir haben wieder eine Navigation«, erklärte Amadeo. »Seit Savoyen habe ich gesucht, weil ich eine bestimmte wollte. - Sie haben Ihren Blackberry dabei?«
Duarte nickte irritiert. »Ja.«
»Bitte gehen Sie ins Netz - das hat mit dem hier keinen Sinn. Ich gebe Ihnen eine URL.«
Der Mann in der Soutane gehorchte ohne Widerspruch. Man kann über die Kirche sagen, was man will, grübelte der Restaurator. Aber den einen oder anderen Vorteil haben sie mit ihrer eindeutigen Befehlskette.
Der Wind kam jetzt von hinten. Amadeo hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen, bereute, dass er keine Mütze mitgenommen hatte. Die Böen zausten ihm unangenehm über den Scheitel. Mit Entsetzen hatte er vor ein paar Wochen festgestellt, dass es rund um den Wirbel verräterisch zu schimmern begann wie helle, rosig blasse Babyhaut.
»Ich hab’s«, murmelte Duarte. »Was ist das für eine Seite?«
»Ein Service zur Berechnung astronomischer Positionen«, sagte Amadeo. »Sie müssen sich anmelden … hier.« Er deutete auf die Stelle im Display. »Moment, ich gebe Ihnen unsere Koordinaten.«
Schritt für Schritt führte er den dunkelhäutigen Mann durch den Anmeldevorgang, während sich der Wind in ihrem Rücken zu einem veritablen Sturm verstärkte, der sie
nun endgültig zwang,
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