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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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das gefallen.

    Als Amadeo sich noch einmal umwandte, hatte ihm der unregelmäßige Hang den Blick auf die kaiserliche Burg bereits genommen.
    Es war seltsam. Mit einem Mal spürte er eine völlig unverständliche Gewissheit, dass es diesmal sehr, sehr lange dauern würde, bis er in das erträumte Märchenschloss seiner Kindheit zurückkehren würde.
    Am Fuß des Hügels traten sie hinaus auf die gepflasterte Straße, auf der die Alleebäume mit ihren Schattenfingern vorauswiesen. Die Schritte der beiden Männer klangen eilig auf dem Pflaster.
    Endlich hatten sie das gerade Stück Asphaltpiste erreicht, den brachliegenden Acker mit den aufgetürmten trulli, die heutzutage während der Saison an Touristen vermietet wurden.
    Che hatte auf sie gewartet. Der Vorkriegsflieger blickte ihnen entgegen wie ein in die Jahre gekommener Albatros mit besonders plattem Schnabel. Unvorstellbar, dass dieses Etwas sich noch einmal vom Boden erheben sollte.
    Zehn Minuten später waren sie in der Luft, weit einfacher, als Amadeo für möglich gehalten hatte. Erst jetzt begriff er, welchen Vorteil es bedeutete, dass die Maschine quasi nichts wog. Gleich beim ersten Versuch war es ihnen mit vereinten Kräften gelungen, den Vogel zurück auf die Asphaltstraße zu bugsieren. Beim albtraumartigen Startmanöver war Amadeo dann allerdings sekundenlang überzeugt gewesen, sie würden doch noch zu Opfern von Castel del Monte werden. Duarte hatte die Maschine Zentimeter über die Dachplattform hinweggesteuert, während Amadeo mit schweißnassen Händen das Fahrwerk hochkurbelte …
    Doch letztendlich …
    »Geschafft.« Schwer ließ sich der Restaurator in seinen Sitz zurückfallen.

    »Im Grunde Routine«, murmelte der commandante .
    Überzeugend klang das nicht, doch Amadeo gab keine Antwort. Das weite, offene Land der Murge glitt unter ihnen dahin. Puglia ging über in die Basilicata, und zunehmend mischten sich Waldstücke zwischen die Felder und Olivenhaine. Und Fahrzeuge: Autos bewegten sich auf den Straßen. Nein, noch flogen sie nicht durch eine leere Welt. Noch hatten sie eine Chance, die Welt, die sie kannten, vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
    Und das war immerhin mehr, als dem Kaiser gelungen war.
    » Rottet aus: Namen und Leib, Samen und Spross dieses Babyloniers «, sagte Amadeo leise.
    »Aus Friedrichs Text?« Fragend sah der commandante ihn an.
    »Wie?« Amadeo schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte er. »Nein, das ist ein Satz über Friedrich. Ein Fluch. Mit dem Babylonier war er selbst gemeint. Dass der Kaiser nicht mehr am Leben war, reichte nicht aus. Die Päpstlichen wollten seine gesamte Familie vernichten, seine Nachkommen: Samen und Spross. Jede auch noch so unwahrscheinliche Chance, dass sie es je wieder mit einem Gegner zu tun bekommen würden, der, nun, wie Friedrich war: der es wagte, selbst zu denken, Fragen zu stellen. Über den Tag hinaus zu sehen auf das, was hinter dem Horizont liegt.«
    Duarte antwortete nicht. Immerhin, er war ein Mann jener Kirche, die dem Kaiser so übel mitgespielt hatte. Trotzdem hätte Amadeo sich gewünscht, dass er ein Stück weit verstehen würde, wie groß, wie gewaltig die Geschichte war, von der sie kaum mehr als einen Fetzen erhascht hatten bei ihrem Kurzbesuch auf Castel del Monte.
    »Die Päpstlichen hatten gesiegt«, sagte Amadeo schließlich leise. »Friedrichs Familie wurde vernichtet. Seine Enkel,
noch keine sechs Jahre alt, legte man im Kerker von Castel del Monte in Ketten. Und dort siechten sie dahin, commandante , vierzig Jahre lang . Vierzig Jahre, bis der Tod sie erlöste - wenn sich das Gerücht auch hielt, dass irgendwo im Verborgenen noch andere Erben des Kaisers am Leben wären. Dass Friedrich, den sie den Adler der Frühe nannten, zwar gefallen sei, er aber weiterlebe in seinen Jungen.«
    »Adler? Erst der Morgenstern, dann die Sonne und jetzt auch noch der Adler? Was kommt als Nächstes?«
    »Das ist die Symbol- und Bildersprache des Mittelalters«, knurrte Amadeo. »Ich habe nie behauptet, dass das einfach ist. Ein Code für sich, gegen den unsere babylonischen Verschlüsselungen aussehen wie die Abzählreime, mit denen Sie zu tun hatten, als Sie noch in kurzen Hosen rumgelaufen sind als kleiner Chilene.«
    »Kleiner Venezolaner«, korrigierte der Mann in der Soutane.
    Amadeo winkte ab. »Die Sonne sinkt, doch sie geht wieder auf«, erklärte er. »Der Morgenstern verschwindet aus unserem Blickfeld, doch er erhebt sich wieder über den Horizont. Der Adler aber

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