Das Babylon-Virus
- das Wappentier des kaiserlichen Hauses - stirbt zwar, lebt aber dennoch weiter in seinen Nachkommen. Der neue Adler ist ein anderer, und doch ist er auf gewisse Weise derselbe wie vorher. Ein uralter Mythos … Wie der Phönix, der sich aus der Asche erhebt und …«
»Phönix?« Die Augenbrauen des dunkelhäutigen Mannes hoben sich. »Warum sagen Sie das nicht gleich?« Er holte Luft. »Die Phönix . - Stellen Sie sich das mal vor: Mitten in der Wüste stürzen sie ab mit ihrem Flieger: James Stewart, Hardy Krüger, Ernest Borgnine … und noch so ein paar andere Leute, die ich immer vergesse. Es gibt Verletzte und Tote. Sie sind am Verdursten. Sie haben keine Chance. Die Maschine ist Schrott, müssen Sie wissen.«
Muss ich das?, dachte Amadeo säuerlich. Er hatte diesem Kerl eine der gewaltigsten, anrührendsten Geschichten der gesamten, nun, Geschichte erzählt - und von Duarte kam ein Schinken aus der Goldenen Ära Hollywoods!
»Sie haben keine Chance«, sagte der Mann in der Soutane. »Und sie wissen es. Die Maschine wird nie wieder fliegen. Aber sie geben nicht auf, sondern bauen aus den Trümmern ein neues , ein viel kleineres Flugzeug zusammen: die Phönix . Und am Ende des Films …«
Amadeo wollte seine Haut nicht darauf verwetten, aber die Stimme des dunkelhäutigen Mannes klang tatsächlich ein wenig rau. »… am Ende erhebt sich die Phönix in die Luft, und dann kommt die Musik … Es ist so ein unglaublicher Augenblick.« Eindeutig: Der Mann schniefte. Und das war nicht die Grippe. Duarte setzte sich jeden Morgen brav eine Ration des geheimdienstlichen Präparats. »Es ist dieselbe Maschine - und doch nicht dieselbe. Es ist … Es ist derselbe Text, dem wir ständig hinterherlaufen!«, sagte der commandante verblüfft. »Und doch nicht derselbe.«
»Es ist eine einzige, gewaltige, große Geschichte«, murmelte Amadeo. Gelb stand das Licht am westlichen Himmel, unterbrochen vom schroffen Massiv des Monte Vulture. »Sie ist immer wieder neu erzählt worden, aber am Ende ist es doch ein und dieselbe.«
Und noch immer trennten sie mehr als viertausend Jahre vom Turmbau zu Babel. Sie befanden sich achthundert Jahre in der Vergangenheit mit dem Text Kaiser Friedrichs, doch das war nicht mehr als ein kleiner Bruchteil der gesamten, unendlich langen Zeitspanne. Sie hatten keine Chance - wie auch die Anhänger des Kaisers keine Chance gehabt hatten oder die Hollywood-Idole des Sonderlings in Soutane. Doch sie würden nicht aufgeben.
Eine andere Wahl hatten sie nicht.
Am Stuhl des Pharao, Hindukusch, Afghanistan
Rebecca war schwindlig. Nein, das war nicht das richtige Wort. Sie kam sich vor wie im Innern eines überdimensionierten Brummkreisels. Einer der niemals stehen blieb, höchstens hin und wieder um eine Winzigkeit langsamer wurde, um im ungünstigsten Moment von Neuem Fahrt aufzunehmen.
Die Welt drehte sich, die Felsen in rotem Ocker, verwackelt, unfassbar wie die Aufnahmen, die General von Stoltenbeck ihnen bei ihrer Ankunft im Camp auf seinem Monitor gezeigt hatte.
Der Hinterhalt der Aufständischen, die Felswand mit den eingemeißelten Schriftzeichen, irgendwo jenseits des Berges, der seit ein paar tausend Jahren Stuhl des Pharao hieß - in wechselnden Übersetzungen. Die Stelle musste hier ganz in der Nähe sein.
»Geht es?« Eine Hand berührte ihre Schulter. Alyssas Gesicht war verschwommen. »Du siehst fürchterlich aus.«
»Du wolltest doch immer die Hübschere sein von uns beiden«, murmelte Rebecca.
»Wenn du nicht gerade einen Schrapnellsplitter an den Schädel gekriegt hättest, würd ich dir jetzt eine scheuern«, knurrte ihre Schwester. »Kannst du laufen?«
»Siehst du doch!«
Wenn ich so laufe, wie es sich anfühlt, kann ich jedenfalls nicht laufen, dachte sie. Doch sie spürte, dass Alyssas Blick aus zusammengekniffenen Lidern auf ihr ruhte und die blonde Frau schließlich knapp nickte. »Komm!«, brummte Alyssa. Schwankend heftete sich Rebecca an ihre Fersen, höher hinauf in das unübersichtliche Gelände.
Das Artilleriefeuer der Bergbewohner hielt an, und doch
bestand zumindest für den Augenblick keine unmittelbare Gefahr. Merthes hatte den Fluchtweg geschickt ausgewählt - was von der Besatzung des Führungspanzers noch am Leben war, befand sich in einem toten Winkel. Die Aufständischen schienen nicht damit gerechnet zu haben, dass sie versuchten, sich in diese Richtung abzusetzen. Doch schon war zwischen den Felsen auf der anderen Seite des Tals unbestimmte
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