Das Babylon-Virus
Boden.
Doch irgendetwas stimmte nicht. War da ein Flackern in Görlitz’ Augen? Genau konnte man das nicht sagen; dazu war zu wenig Gesicht übrig.
Der Helikopter ruckte tiefer, setzte zur Landung an.
Eine felsige Fläche im Schatten eines höher gelegenen Bergmassivs. Dunkle Schatten, die sich bewegten, vor der Druckwelle des Flugapparats zurückwichen.
Mit einem schabenden Geräusch berührte der Helikopter das Gestein. Der Boden hatte sie wieder. Es war das erste Mal, solange Amadeo denken konnte, dass er in diesem Moment keine Erleichterung verspürte.
Nur Leere. Vollständige Leere.
Die Gorillas ließen ihn nicht aus den Augen, als ihm Görlitz mit einem Nicken bedeutete, als Erster aus dem Hubschrauber zu klettern. Amadeo musste die Augen zusammenkneifen vor der Nachmittagssonne.
Vier, fünf Gestalten, Zwillingsbrüder von Görlitz’ Schergen. Und ein Mann in einem schmuddeligen Jeansanzug, die Hippiefrisur nun mit einem Gummi zum Pferdeschwanz gebunden. Hatte Amadeo noch irgendeinen Zweifel gehabt? Nein, nicht ernsthaft. Es war der Mann, mit dem er am Berliner Flughafen gesprochen hatte.
»Ah, dottore Fanelli!« Jean-Lucien Verholen kam ihm entgegen, hatte seine Hand gepackt, bevor er es verhindern konnte. »Herr Görlitz«, fügte er in deutlich kühlerem Tonfall hinzu, nickte knapp. Als ob er einem Hund winkte.
»Ich möchte Sie bitten, die Unannehmlichkeiten während der letzten Tage zu entschuldigen.« Verholen legte zwar nicht vertraulich den Arm um Amadeos Schultern, aber es fühlte sich an, als ob er das tat - nicht schleimig und höhnisch wie Görlitz, sondern wie man das bei einem wichtigen Geschäftspartner machte. »Ich kann mir vorstellen, dass Sie das alles sehr verwirrt haben muss.«
Verwirrt? Amadeos Kiefer öffneten sich, doch es kam kein Laut heraus. Verholen musterte ihn. »Doch, es ist mir schon klar, dass Sie Teile meiner Strategie nicht gutheißen. Aber Sie können mir glauben: Ich treffe solche Entscheidungen nicht leichtfertig. Wirklich, ich bedaure, dass ich wiederholt gezwungen war, zum letzten Mittel zu greifen. Doch mehr als jedem anderen muss Ihnen klar sein, was in diesen Tagen auf dem Spiel steht. Die Menschheit befindet sich am Abgrund. Wie die Situation sich darstellt, gibt es nur einen Weg, die Zivilisation zu retten: das Heilmittel, das in diesem Berg verborgen ist. Da stimmen Sie mir doch zu? - Natürlich tun Sie das.«
Amadeo starrte den Mann an, mit offenem Mund. Die Szene war surreal.
»Sehen Sie, und nichts anderes ist meine Absicht«, erklärte Verholen. »Es ist mir bewusst, dass Sie Ihre eigenen Vorstellungen haben, wie, von wem, zu welchem Zweck dieses Mittel eingesetzt werden sollte. Und dass die Vorstellungen meiner Auftraggeber davon abweichen. Doch ich frage Sie: Können Sie mir guten Gewissens versichern, dass Ihnen die einzige noch denkbare Alternative lieber wäre? Wünschen Sie sich, dass das Mittel nicht gefunden wird? Wünschen Sie sich, dass es überhaupt nicht eingesetzt wird ? - Mein Weg, dottore Fanelli, oder kein Weg. Haben Sie eine Wahl?«
Das Tal der Gerüsteten
Sie hatten es wieder getan.
Sie hatten einen Turm gebaut, und diesmal war es ihnen gelungen, ihn fertigzustellen.
Amadeo war sich in den vergangenen Tagen niemals sicher
gewesen, was eigentlich am Ende seiner Reise auf ihn warten würde. Das Heilmittel, wenn alles gut ging - aber einfach eine babylonische Amphore mit einem ominösen Zaubertrank, versteckt in einer Höhle, vergraben unter dem Sand der Wüste? Nein. Er hatte gespürt, dass es etwas Besonderes sein musste. Etwas, das der Bedeutung dieses Geheimnisses angemessen war.
Ein Turm.
Ein Turm im Innern der Erde .
Sie folgten einer Treppenflucht, die in die Tiefe führte, dem Fuß des mächtigen Bauwerks entgegen. Wer hatte diese steinerne Stiege geschaffen? Die Babylonier selbst? Alexander der Große? Auf jeden Fall war sie uralt.
Der Blonde ging voran, berichtete knapp, wie er mit einer Handvoll seiner Mitarbeiter auf den nur notdürftig getarnten Eingang gestoßen war. Er hatte nach einer Möglichkeit gesucht, das Haus der Spinne zu umgehen, während das Gros seiner Männer Rebecca und ihren Begleitern durch die Gänge gefolgt - und mit ihnen gestorben war. Alyssa hatte recht gehabt mit ihrer allerersten Einschätzung: Verholen war ein Mann, der auf Nummer sicher ging.
Er selbst hatte sich vornehm zurückgehalten - und tatsächlich hatte er einen anderen Weg gefunden.
Und das war falsch.
Vor fünf
Weitere Kostenlose Bücher