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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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nicht gerührt hatten. Die Waffen der Gorillas waren nach wie vor auf die beiden Männer gerichtet.
    Es war eine seltsame Ironie. Fünf Jahrtausende der Codes und Verschlüsselungen hatte Amadeo hinter sich und Görlitz genauso, auf seine Weise. Und jetzt, vor dem ersten Hindernis, das die Babylonier selbst geschaffen hatten, standen sie Seite an Seite.
    Amadeos Blick glitt über den Schmuck des Portals. Schon aus der Ferne hatte er erkannt, dass sich in diesem Turm die Stile der verschiedensten Epochen miteinander mischten. Er sah Gestalten, im Halbrelief in das mysteriöse Material getrieben, eine Frau auf der linken Seite, ein Mann auf der rechten, die einen Vorhang von der verschlossenen Öffnung beiseitezuziehen schienen. Sie waren hoch und übermenschlich schlank geformt wie die Figuren an den mächtigen gotischen Domen der Christenheit, während ihre seltsam starre Haltung an die original babylonischen Vorbilder erinnerte. Der Vorhang wiederum mit seinen dramatischen Falten stellte noch das Rokoko-Grabmal des Duke of Chandos in den Schatten, anderthalb Kontinente entfernt. Und das Ganze aus der finster funkelnden dunklen Substanz getrieben, die weder Stein noch Metall war und doch beides zugleich. Dämonisch. Ein anderes Wort gab es nicht.
    »Ein Albtraum der Postmoderne«, murmelte Görlitz.
    Amadeo blinzelte. Man konnte sagen was man wollte über Narbenvisage, aber das waren dieselben Worte, die er gerade selbst im Kopf gehabt hatte.
    »Von so was muss Friedensreich Hundertwasser geträumt haben«, sagte er leise. »Wenn er abends zu viel Käse gegessen hatte.«

    Görlitz’ Mundwinkel zuckte. Da er Amadeo im Moment sein Profil zuwandte, war die unbewegliche Hälfte seines Gesichts unsichtbar.
    »Die Darstellung muss ein Hinweis sein«, murmelte der Mann mit den entstellten Zügen. »Irgendwie muss man den Zugang öffnen können.«
    In diesem Punkt jedenfalls hatte Verholen recht, dachte Amadeo. Görlitz liebte es, das Offensichtliche auszusprechen.
    Der Restaurator trat noch etwas näher an die Reliefs heran, auf der rechten Seite, bei der Männerfigur. Der Reichtum der Details war atemberaubend. Das Gesicht der Gestalt wandte sich dem Betrachter frontal entgegen, in einem Winkel, den Amadeo höchstens den Artisten vom Chinesischen Nationalzirkus zutraute. Der Mann trug einen langen, mit einem Band durchwirkten Bart, wie er in einer bestimmten Epoche des alten Babylon Mode gewesen war. Seine rechte Hand hielt den Vorhang umfasst, während die linke vor der Hüfte angewinkelt war, zwei Finger ausgestreckt, als wenn sie auf etwas deuten würde - nur dass dort unten nichts mehr zu sehen war als der Saum seines Gewandes und seine Füße, die offenbar ohne Schuhe auskamen.
    Am Rande seines Blickfelds nahm Amadeo wahr, dass Görlitz sich der anderen, der weiblichen Gestalt genähert hatte, mit den Fingern über ihre kunstvoll gestaltete Haartracht fuhr, dann langsam in die Knie ging. Die Haltung der Figur entsprach exakt dem männlichen Pendant auf Amadeos Seite: eine Hand am Vorhang, die andere …
    Der Restaurator blinzelte. Er ging ebenfalls in die Knie. Der Saum des Gewandes endete über dem Oberschenkel und war damit kürzer, als es im Zweistromland üblich gewesen war. Selbst hier waren die Kleinigkeiten mit einer Feinheit gestaltet, dass Amadeo schlicht die Luft wegblieb.
Er glaubte die einzelnen Fäden der Borte zu erkennen. Verschlungene Motive, in den Stoff gewebt, schlängelnd, einander überkreuzend wie eine geheime …
    »Eine Botschaft«, flüsterte er. »Hier steht etwas!« Seine Augen flogen zu Görlitz, dessen eigener Blick konzentriert auf dem Gegenstück am Gewand der Frau haftete. Sein ehemaliger Kollege nickte, wie in Zeitlupe.
    »Hier auch«, sagte er leise. »In … das sind griechische Buchstaben!«
    Amadeos Augen kehrten zurück zu der Männergestalt, zu den Fäden, die sich hin und her schlängelten, zufällige Formen zu bilden schienen, zufällig bis auf einen kurzen Bereich des Saumes, kaum einige Zentimeter lang.
    »Ein Psi «, wisperte der Restaurator. »Und ein … der Bogen ist so flach, dass er kaum zu erkennen ist, aber das muss ein griechisches Ypsilon sein! Dann kreuzt es sich wieder, und …« Er sah zu Görlitz, der aber vollkommen in den Gewandsaum der Frau vertieft war, die Lippen lautlos bewegte. »Ein Chi «, flüsterte Amadeo. »Und am Ende ein … ein Lambda ? Nein, es ist gebogen nach oben hin, es ist ein …« Ihm stockte der Atem. »Ein Eta ! - ps-y-ch-e ! Die

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