Das Babylon-Virus
los?«, fragte sie.
Schritte.
Die ISAF-Männer wurden lebendig. Major Reinold richtete sich auf, griff nach seiner Waffe. Merthes selbst hatte mit einer blitzartigen Bewegung die MILAN in der Hand. Rebecca grauste es bei der Vorstellung, dass er sie hier drin abfeuern könnte. In dem anderthalb Meter breiten Gang würde er sie alle in die Luft jagen.
»Vielleicht müssen Sie einfach nur die oberste Lehmschicht abkratzen«, kam es aus dem Handy.
»Wir können froh sein, wenn wir nicht selbst gleich abkratzen!«, zischte Rebecca in den Apparat und legte auf. Sie machte einen Schritt nach vorn.
»Sie bleiben, wo Sie sind!«, schnauzte Merthes. Ein Blick zu Alyssa. »Das gilt auch für Sie, Frau Feldwebel! Ihretwegen veranstalten wir diesen Zirkus!«
Rebecca setzte zu einem wütenden Widerspruch an, doch der Oberst sprach nur die Wahrheit. Er nickte zum Major, zwei weiteren Männern. Die Soldaten schoben sich nach vorn, mit langsamen Schritten den Gang hinab, den der Zug von der Kamasutra-Kreuzung her gekommen war.
Es war die Richtung, aus der die Schritte ertönten. Sie klangen anders als vorhin, als Frerichs getroffen worden
war. Die Wände des Ganges verstärkten die Geräusche wie in einem Trichter.
»Wir müssen weiter!«
Rebecca schüttelte sich. Merthes sah sie an, seine Waffe geschultert. »Links oder rechts?«, fragte er.
»Ich …« Rebecca starrte auf die Tafel. Hai perso per la strada. Links oder rechts? Wie konnten sie den richtigen Weg wählen, wenn sie den Weg schon verloren hatten?
Schüsse.
Rebecca fuhr herum - und blickte in eine Wolke aus aufstiebendem Lehmverputz, der Merthes’ Stellvertreter und die beiden anderen Männer einhüllte. Neue Einschläge, dumpfe Geräusche, als Kugeln in die Mauern schlugen. Ein anderes Geräusch, ein kurzes, abgehacktes Stöhnen. Flüche.
»Links oder rechts?«, brüllte Merthes. »Diese Männer sterben gerade, damit wir uns absetzen können!«
Rebecca drehte sich um, stierte auf die Tafel. Sie konnten den Weg nicht verloren haben! Diese Zeichen waren ein Hinweis, auch wenn Helmbrecht das nicht begreifen wollte. Sie mussten ein Hinweis sein!
No, I don’t have a gun! No, I don’t have a gun!
Sie riss ihr Handy ans Ohr. »Professor!« Ihre Stimme kippte.
»Rebecca.«
»Pro… - Amadeo!«, flüsterte sie.
»Rebecca, bist du in Ordnung?« Er klang unsicher. Klang er verletzt? Keine Zeit dazu. Neue Schüsse, neue Schreie.
» Hai perso per la strada! «, schrie sie ins Handy. »Das ist ein Zitat! Wo ist das her? Wie geht es weiter?«
»Was?« Er hielt inne. »Was ist da los?«
»Wie geht der Text weiter, verdammt? Du bist doch Italiener! Hai perso per la strada! «
»Du …« Amadeo zögerte. »Das ist ein Songtext von
Gianna Nannini. Du brüllst ein paar Töne tiefer als sie, aber sonst … Rebecca, ihr müsst aufpassen! Wenn ihr am Haus der Spinne …«
»Wir sind mittendrin, verflucht! Rechts oder links?«
»Wie?«
Ein dumpfer Laut, ein paar Schritte rechts von ihr. Ein Keuchen. Einer der Soldaten stolperte zurück, die Hand gegen die Schulter gepresst. Blut quoll hervor.
» Rechts oder links? Wie geht der Text weiter?«
»Was … Moment. Es geht um jemanden, der den Weg verloren hat und … Ti manca la mattina. Dir fehlt der Morgen oder …« Überrascht holte er Atem. » La manca ! Die Linke! Links!«
Er sprach noch weiter, doch Rebecca stürzte schon davon. Merthes brüllte etwas, winkte seinen Männern, ihr zu folgen.
Zwei der Soldaten waren in die Knie gegangen, daneben Alyssa. Sie gaben Schüsse in den Gang hinein ab.
»Lauf!«, schrie die blonde Frau.
Um sie her pfiffen Kugeln. Lehmputz splitterte. Ein Brocken traf Rebecca an der Hüfte, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Der Oberst riss sie zurück auf die Füße, zerrte sie weiter.
Geduckt setzte Alyssa ihnen nach, die beiden Soldaten. Einer von ihnen zuckte plötzlich zusammen, brach in die Knie.
Der Gang nach links, Deckung hinter der Mauer, der Abzweigung. Merthes war stehengeblieben, tauschte einen Blick mit dem Verwundeten. Mit verzerrtem Gesicht schüttelte der Soldat den Kopf.
Der Oberst nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Er setzte die MILAN an seiner Schulter an, zielte, in den Gang, in die Wolke von Lehmstaub. »Laufen Sie!«, brüllte er.
Alyssa riss Rebecca mit sich. Fünf Schritte, dann versank das Labyrinth in einem Ball aus Donner und loderndem Feuer.
Der Himmel über Afghanistan
» Maledetto .« Alles Blut war aus Amadeos Händen gewichen. »Was ist da
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