Das Babylon-Virus
los?«
Geschrei, Gepolter, eine Frauenstimme: Lauf! Rebecca? Oder ihre Schwester? Die beiden Stimmen ließen sich kaum unterscheiden, und da waren so viele andere Geräusche, so viele …
Ein rasselnder Laut, der seinen Apparat vibrieren ließ. Ein Donnern - und dann nichts mehr.
Die Verbindung war abgebrochen.
»Das hat sich angehört wie eine Explosion«, flüsterte Amadeo.
»Sie wird sich doch nichts getan haben?« Besorgt hoben sich Görlitz’ asymmetrische Augenbrauen. »Das wäre wirklich ein ungeschickter Moment. Gerade jetzt, wo sie mir gehört.«
Amadeo starrte auf sein Handy. Sein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt. Jetzt, wo sie mir gehört . Eine Geschichte aus dem Alten Testament schoss ihm durch den Sinn, fast so alt wie die Babylonerzählung selbst: Jakob, der Sohn des Erzvaters Isaak, hatte von seinem Zwillingsbruder Esau das Recht des Erstgeborenen erworben - für einen Teller Linsensuppe.
Amadeo hatte gerade die Liebe seines Lebens gegen ein Handytelefonat verschachert.
Görlitz’ Miene trug einen Ausdruck tiefer Trauer - und reiner Glückseligkeit. »Ach, wie schwer es fällt, einen Menschen
zu verlieren, der so ganz und gar zu einem gehört hat. Nach so schrecklich, schrecklich, schrecklich kurzer Zeit. Du wirst es dir natürlich nicht vorstellen können, mein Lieber. Ich hätte sie niemals freiwillig hergeben können.«
Amadeo sah den Mann, der sein Todfeind war, sah die Gorillas mit ihren halbautomatischen Waffen. Er hatte nur den einen Wunsch: seine Hände um den Hals dieser Bestie zu legen, zuzudrücken, nicht wieder aufzuhören, bis man seine verkrampften, leblosen Finger mit Gewalt von Görlitz’ Gurgel würde lösen müssen.
Er konnte nicht.
Rebecca.
»Wir sind im Anflug auf Masar-e Sharif Airport«, meldete sich knisternd die Stimme des Piloten. »Soll ich runtergehen?«
Görlitz wandte sich um. »Fliegen Sie weiter!«, rief er nach vorn. »In die Berge. Versuchen Sie Kontakt zu bekommen zu unseren Leuten am Boden.«
Der Restaurator war noch immer zu keiner Regung fähig. Er spürte, wie der Helikopter seinen Kurs veränderte, wieder Tempo zulegte, nahm wahr, wie Görlitz an eines der Fenster trat, nach draußen blickte.
»Kein Mensch zu sehen auf dem Militärgelände. - Nun, schauen wir mal, was uns in den Bergen erwartet«, wandte er sich an Amadeo. »Das Heilmittel und die Liebe meines Lebens. Gut, tot offenbar, aber man soll ja nicht unbescheiden sein. Sind ja auch so schon zwei Dinge auf einmal. Was denkst du, mein lieber Amadeo? Sieht aus, als ob heute mein Glückstag wäre.«
Amadeo antwortete nicht. Der Helikopter sank tiefer. Aus dem Augenwinkel sah er die rauen Hänge des Gebirges vorbeiziehen. Der Pilot gab Meldung: irgendjemand, den er erreicht und der ihm Koordinaten durchgegeben hatte.
»Schau mal einer an«, murmelte Görlitz. »Amadeo, das musst du einfach sehen!« Eine Hand packte die Finger des Restaurators. »Dort unten! Vor uns! Rechts!«
Rötliches Gestein, zerrissenes, vernarbtes Land. Nichts, was den Blick hielt, bis auf - Rauch. Eine dünne Rauchsäule, die zusehends deutlicher wurde. Ein Vulkan?
»Die Koordinaten stimmen beinahe überein.« Die knisternde Stimme des Piloten. »Das sind sie. - Waren sie.«
Die Koordinaten … Amadeo stierte in die Tiefe. Die Koordinaten stimmen beinahe überein . Kein Vulkan - die Rauchsäule einer Explosion tief unter der Erde. Rebeccas Koordinaten.
Ganz langsam drehte er den Kopf. »Wie …?«, flüsterte er. »Woher habt ihr …?«
Görlitz sah ihn an, mit der Karikatur eines verständnisvollen Lächelns. »Ach, mein lieber, ahnungsloser Amadeo. Wie dankbar ich dir sein muss. Dieses hübsche kleine Handy mit dem etwas pathetischen Klingelton, das uns so wichtige Informationen geliefert hat.«
Amadeo keuchte. »Mein altes telefonino «, flüsterte er. »Ich hatte es liegen lassen. In Fernwaldts Haus in Caputh.«
Görlitz nickte. »Ganz einfach war es wohl nicht, in Rebeccas System reinzukommen. Aber nachdem unsere Jungs mal drin waren, gab es kein Problem mehr, sie im Auge zu behalten. - Und dich natürlich auch, nachdem sie sich durch ihre Verbindungen geblättert hatten. Das führte dann zu unserem erfreulichen Zusammentreffen in Edgware.«
Der Hubschrauber entfernte sich ein kleines Stück von dem aufsteigenden Qualm, der den Ort der Vernichtung markierte. »Wir gehen runter!«, kam es aus den Lautsprechern. »Sie warten auf uns.«
Sie, dachte Amadeo. Görlitz’ Verbündete, seine Leute am
Weitere Kostenlose Bücher