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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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etwas von diesem Geschäft verstand, wusste sehr gut, dass zur Schau getragenes Desinteresse ebenso verräterisch sein konnte wie ein Feldstecher, durch den man das Zielobjekt anvisierte.
    Und wenn es eine Falle war? Der Lauf einer schallgedämpften Pistole aus einem Fenster auf der anderen Straßenseite? Es waren genug Leute unterwegs, trotz der Grippe. Bis die Polizei auftauchte, würde der Schütze längst verschwunden sein.
    Aber das hätten sie einfacher haben können. Sie hatten seine Nummer rausgekriegt, trotz der neuen Identität, die seine Verbindungsleute ihm besorgt hatten. Mit Sicherheit kannten sie auch seine Adresse.
    »Sie sind pünktlich.«
    Görlitz zuckte zusammen. Er hatte weder gehört noch gesehen, wie der andere herangetreten war.
    Der Mann war an die fünfzig und trug eine ausgewaschene Jeansjacke. Seine Haare reichten fast bis zum Hals, blond mit Strähnen von Weiß oder umgekehrt. Seine Nase sah aus, als wäre sie mehr als einmal gebrochen gewesen, und die ungepflegte, grobporige Haut trug ein Übriges dazu bei, dass man sich an dieses Gesicht erinnerte.
    Das widersprach allen Regeln des Geschäfts.
    Görlitz wusste sehr gut, dass er selbst in diesem Geschäft nie mehr gewesen war als ein ganz kleines Licht. Sein Wissen reichte gerade aus, um in diesem Fall die einzig logische Schlussfolgerung zu ziehen: Dieser Mann war ein Spezialist, ein echter Profi. Er hatte es schlicht nicht nötig, unauffällig zu sein.
    Der Fremde musterte ihn mit einem Ausdruck, bei dem es Görlitz eiskalt den Rücken runterlief: aufmerksam, ja, höflich interessiert, doch in einer Art und Weise, als könnte er
wie selbstverständlich jeden einzelnen Gedanken nachvollziehen, der Görlitz gerade durch den Kopf ging.
    »Und?«, fragte der Blonde mit einem Nicken Richtung Fenster. »Schon was gefunden zu Weihnachten?«
    »Wer sind Sie?«, zischte Görlitz. »Woher haben Sie meine Nummer?«
    »Sie sind nicht so dumm, Herr Görlitz, dass Sie darauf ernsthaft eine Antwort erwarten.« Neue Böen fauchten durch die Häuserschlucht. Der Fremde schüttelte seine strähnige Mähne, als wären sie ein laues Lüftchen. »Ich möchte mich lediglich ein wenig mit Ihnen unterhalten und Ihnen möglicherweise ein Angebot machen.«
    »Und wenn ich mich nicht mit Ihnen unterhalten will?«
    »Dann wären Sie nicht gekommen«, stellte der Fremde fest. »Sie wollten wissen, woher ich Ihre Nummer kenne. Sagen wir, wir haben gemeinsame Bekannte, und ich bin auf der Suche nach einem Spezialisten.«
    »Sehe ich aus, als wäre ich noch im Geschäft?«, knurrte Görlitz. Er lockerte seinen Schal, den er bis zur Nase hochgezogen hatte, und hob gleichzeitg die Sonnenbrille für einen Moment an, ließ den Mann einen Blick auf das werfen, was von seinem Gesicht übrig geblieben war nach dem Tag im Petersdom in Rom. Mühsam zusammengeflickt von den Privatärzten, die seine Gönner ihm finanziert hatten - wusste Gott, ihr geliebter römisch-katholischer Herrgott, warum? Vielleicht weil sie sich doch noch irgendwas von ihm erwarteten. Vielleicht stand die Antwort ja gerade vor ihm.
    Der Blonde verzog keine Miene. Hatten sie ihn auf den Anblick vorbereitet?
    »Ihr Aussehen ist unerheblich für das, was wir von Ihnen erwarten, Herr Görlitz.« Seine Stimme klang vollständig neutral. »Niemand hat die Absicht, Sie auf eine Schönheitskonkurrenz zu schicken.«

    »Sondern?«, erkundigte sich Görlitz. »Warum sollte ich mich darauf einlassen?«
    Der Blonde betrachtete ihn von oben bis unten. »Weil ich Ihnen etwas bieten kann, das Sie von niemand anderem bekommen können«, sagte er.
    Fragend hob Görlitz die Augenbrauen. In der Schaufensterscheibe sah er, wie eine alte Dame langsam hinter ihnen vorbeiging, schwerbepackt mit Einkaufstüten. Sie trug eine Atemmaske. Die Leute hamsterten Vorräte zusammen, als gäbe es kein Morgen.
    Der Fremde wartete ab, bis die Frau vorüber war, dann sah er Görlitz unverwandt an und sagte nur ein einziges Wort.
    »Rache.«

Caputh, Deutschland
    Der Mann auf dem Foto war Albert Einstein.
    Amadeo klammerte sich an seine Kaffeetasse. Die Schwarzweißaufnahme, die der alte Mann aus einer verstaubten Fotobox geholt hatte, zeigte den Physiker in einer Gruppe von Menschen, einer Familie. Neben Einstein stand ein Mann, der Fernwaldt selbst hätte sein können, in jüngeren Jahren, aber der Alte hatte Amadeo erklärt, dass es sich um seinen Vater handelte, daneben seine Mutter und Großmutter und einige seiner älteren

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