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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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überwiegende Teil der Menschheit niemals erfahren würde, dass so etwas wie eine spätkarolingische Minuskel überhaupt existierte. Es gab Dinge, die Ingolf Helmbrecht wichtig waren, und Dinge, die dem Rest der Welt wichtig waren, und die Schnittmenge zwischen beiden war nicht übermäßig groß.
    Das Institut, ihre letzte Hoffnung. Es war eine realistische Hoffnung, doch zunächst einmal mussten sie das Institut erreichen.
    Wie selbstverständlich hatte Rebecca ihre Kleinkaliberpistole ausgepackt. Wachsam blickte sie durch die Windschutzscheibe. Die Situation in der Weimarer Innenstadt hatte sich kaum verändert. Einmal raste ein paar hundert Meter entfernt ein Fahrzeug mit Blaulicht durch, doch bei
diesem isolierten Anzeichen für die Anwesenheit der Staatsgewalt blieb es dann auch. Den größten Teil der Strecke waren die Straßen menschenleer, bis unvermittelt eine Gruppe Jugendlicher sichtbar wurde, die sich um mehrere brennende Mülltonnen scharte. Amadeo kam sich vor wie in einem Musikvideo aus den Achtzigern.
    Glücklicherweise nahm niemand Notiz von ihnen. Einige Minuten lang hatte er das Gefühl gehabt, dass ein Scheinwerferpaar dem Mietwagen mit einigem Abstand folgte, doch kurz hinter den Mülltonnen war das andere Fahrzeug abgebogen.
    »Gleich sind wir da«, sagte er schließlich, als er aufatmend in die Zielstraße einbog.
    Das Institut für Paläographie war in einem schmalen, dreistöckigen Haus aus der Goethezeit untergebracht. Die klassizistischen Formen waren hundert Jahre später dem neuen Zeitgeschmack angepasst worden, doch insgesamt wirkte das Ganze recht harmonisch - bei Tageslicht zumindest.
    Direkt vor dem Gebäude brachte Amadeo den Wagen zum Stehen. Einen Spalt breit öffnete Rebecca die Beifahrertür, lauschte, spähte in die Nacht. In der Ferne war ein Rumpeln und Krakeelen zu hören, und hundert Meter geradeaus, wo sich die Straße zu einem kleinen Platz erweiterte, erahnte man mehrere schemenhafte Gestalten, die aber keine Anstalten machten, sich in ihre Richtung zu bewegen. Rebecca nickte knapp; sie stiegen aus.
    Einschüchternd ragte das Gebäude über ihnen auf. Die rothaarige Frau legte den Kopf in den Nacken, und Amadeo folgte ihrem Blick. »Da ist ein Licht!«, flüsterte er.
    Es war eines der Fenster in der obersten Etage. Helmbrechts Büro befand sich direkt unter dem Dach, aber war es genau dieses Fenster? Amadeo spürte, wie sein Herzschlag
holpernd beschleunigte. Gab es sonst irgendjemanden im Institut, dem er es zutraute, dass er um diese Uhrzeit noch über der Arbeit brütete? Ein einsames, kleines Licht.
    Es war merkwürdig. Urplötzlich und denkbar unpassend spürte Amadeo eine irgendwie romantische Stimmung in sich aufsteigen. Aber war das ein Wunder? Eine Woche waren Rebecca und er voneinander getrennt gewesen. Die Umstände ihrer Begegnung hatten ihm noch gar nicht wirklich zu Bewusstsein kommen lassen, dass sie wieder da war, so nah bei ihm, dass er durch den Stoff ihrer Jacke hindurch die Wärme ihres Körpers zu spüren glaubte. Er roch ihren Duft - wenn auch überdeckt durch irgendein antiseptisches Zeug, das sie sich auf die Verletzung gesprüht hatte.
    Ob sie es auch spürte? Ob sie dasselbe fühlte wie er in diesem Moment? Versuchsweise tastete er nach ihrer Hand in der Dunkelheit. Das Paläographische Institut ragte über ihnen auf, wie ein geheimnisvolles Märchenschloss beinahe, und das einsame kleine Licht …
    »Ein Licht«, murmelte Rebecca. »Wie in der Rocky Horror Picture Show.«
    »Stimmt.« Rasch zog Amadeo die Finger zurück. »Die Szene ganz am Anfang.«
    Überrascht sah sie ihn an: »Du kennst den Film? Ich denke, du hörst nur Händel und den anderen, den …«
    »Natürlich«, brummte Amadeo. »Du meinst die Stelle, als Brad und Janet auf Dr. Furters Spukschloss zukommen, und plötzlich fängt eine Stimme an zu singen …«
    »Bitte nicht«, sagte sie rasch. »Das ist schon unheimlich genug hier. - Also gehen wir rein? Anscheinend ist ja jemand da.«
    Amadeo nickte ruckartig. So viel zur Romantik.
    Drei ausgetretene Steinstufen führten zu einer mit geschnitztem
Rankenwerk verzierten Tür empor. Eine Lampe im Türsturz verbreitete diffuses Licht.
    Amadeo streckte die Hand nach der Klingel aus und hielt überrascht inne.
    Die Tür stand einen Spaltbreit offen.
    »Vielleicht ist sie einfach nicht ins Schloss gefallen.« Seine eigene Stimme klang dünn in seinen Ohren.
    »Du bleibst von jetzt an hinter mir!«, erwiderte sie knapp.
    Das Foyer des

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