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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Tannenast über seine Stirn schrammte. Er machte einen Schritt zur Seite, war für einen Moment aus der Balance, dann ging es wieder.
    Schon konnte er um die Bäume herumsehen, auf den geschützten, selbst bei Tag von der Straße aus unsichtbaren Bereich des Grundstücks. Vom Gebäude an der Straßenecke fiel ein diffuser Streifen Helligkeit in den Garten und ließ den Reif auf der Rasenfläche glitzern wie Tausende winziger Sterne. Schimmernde Reflexionen brachen sich auf dem kleinen Gartenteich, dessen Wasser zu dieser Jahreszeit durch eine Solaranlage gewärmt wurde, damit sein Bewohner den Winter überstand: ein fetter Karpfen, den der Professor nach dem Kanzler der deutschen Wiedervereinigung getauft hatte.
    Nach der fast vollständigen Dunkelheit war Amadeo für eine Sekunde abgelenkt durch diese winzigen Ahnungen von Licht. Erst als ein Schatten auf der Terrasse sich bewegte,
wurde er aufmerksam, doch in diesem Moment war es zu spät.
    Der Schatten, noch eine Spur dunkler als die Finsternis ringsum, schnellte herum, war mit zwei Schritten am Rand der mit Feldsteinen abgestützten Böschung, federte ab, auf den jungen Restaurator zu.
    Keuchend wich Amadeo zurück. Er hatte keine Waffe, er hatte nicht einmal …
    Der Schatten kam auf dem Rasen auf, machte einen Schritt vorwärts - und knickte mit einem überraschten Keuchen zur Seite weg.
    Amadeo starrte auf die Gestalt. Alles war so schnell gegangen, schon rappelte der Fremde sich wieder auf.
    Lauf! , schrie eine lautlose Stimme in Amadeos Kopf, doch er konnte nicht, stand da wie festgefroren, was kein völlig entlegener Gedanke war bei diesen Temperaturen. Noch immer starrte er auf die schattenhafte Gestalt, wusste selbst nicht warum, aber da war etwas in ihrer Haltung gewesen, ein Detail ihrer Bewegungen, das …
    Sein Mund schmeckte nach Asche. Er öffnete sich selbsttätig.
    »Rebecca?«, krächzte er.
     
    »Näher ran!«, brummte Rebecca. »Ich brauche mehr Licht.«
    Amadeo gehorchte wortlos, doch er konnte nicht verhindern, dass der helle Fleck der Stablampe zitterte, während er sich auf dem Fahrersitz seines Mietwagens vorbeugte und einen Abschnitt ihrer entblößten Haut beleuchtete. Um die richtige Stelle zu treffen, musste er gezwungenermaßen hinsehen, und wenn er hinsah, wurde ihm übel.
    Auf der Außenseite von Rebeccas Oberschenkel, etwa zwei Handbreit unter dem Ansatz ihres Hinterns, befand
sich ein Ypsilon-förmiger Schnitt - ein sonderbarer und auf eine perverse Weise faszinierender Kontrast zu ihrem aufregend nachtschwarzen Slip. Die Wunde war mit groben Stichen vernäht worden, doch mehrere dieser Stiche waren aufgerissen, und die Wundränder leuchteten in einem ungesunden, beinahe violetten Rot. Zweimal bereits hatte Rebecca mit einem Wattebausch das frisch hervorsickernde Blut entfernt, doch schon wieder trat ein dünnes, scharlachrotes Rinnsal aus der Verletzung.
    Rebecca musste sich verrenken, als sie einen metallischen Gegenstand an die aufklaffende Naht setzte.
    »Was …« Amadeo schluckte. »Was ist das für ein Gerät?«
    »Wie sieht es denn aus?«, knurrte sie.
    Es sah aus wie ein Tacker, doch das konnte er nun kaum …
    »Es ist ein Tacker«, stellte sie fest.
    Amadeo blieb die Luft weg. »Du kannst doch nicht …«
    Das schnappende Geräusch, mit dem sie den kleinen Apparat auslöste, bewies, dass sie es konnte, dreimal, viermal hintereinander - und jedes Mal zuckte der Strahl der Taschenlampe in Amadeos Hand.
    »Das war die Längsnaht«, murmelte Rebecca.
    »Du kannst da doch nicht mit einem Tacker rangehen!«
    »Mit Nadel und Faden kann ich an der Stelle nicht arbeiten, ohne mir vorher ein paar Rippen rauszunehmen. Außerdem ist es ein medizinischer Tacker, die sind dafür gebaut. - Aber wenn du natürlich willst …« Sie nickte zu ihrer Handtasche, die geöffnet auf dem Armaturenbrett stand.
    Entschieden schüttelte Amadeo den Kopf. Rebecca stieß ein Brummen aus, als der Lichtkegel die Bewegung mitmachte.
    »Und jetzt die Schrägnaht Nummer eins«, sagte sie leise.
    Amadeo schloss die Augen.

    Als er sie wieder öffnete, war Rebecca bereits dabei, das medizinische Werkzeug zu verstauen.
    »Was ist das für eine Verletzung?«, flüsterte er. »Wo hast du die her?«
    »Allgemeines Berufsrisiko.« Sie hob die Schultern, zog eine Einwegspritze aus ihrer Tasche, die sie sich durchs Hosenbein in den Oberschenkel jagte. »Ich hab schon Schlimmeres überlebt.«
    Er nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Das hatte sie. Er war selbst

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