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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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zu und rührte
sich nicht. Nein, er trug keinen Jeansanzug. Falls doch, war er unsichtbar unter einem langen dunklen Mantel. Der Widerschein der Lampen lag auf seinem rötlich blonden Haar, das einen ganz anderen Ton besaß als bei dem Mann, den Amadeo am Vormittag in Berlin gesehen hatte. Die rechte Hand des Unbekannten befand sich, locker zur Faust geballt, auf seinem Rücken. Der linke Arm dagegen, vor seinem Körper angewinkelt, war für Amadeo und Rebecca nicht zu sehen. Die Hand konnte leer sein - oder eine entsicherte Pistole umklammert halten.
    »Nicht schießen«, bat Amadeo. Er holte Luft. »Das ist Schiller.«
    Rebecca zwinkerte, doch die Mündung ihrer Waffe bewegte sich keinen Zentimeter.
    »Es tut mir leid«, sagte er zerknirscht. »Ich hatte es einfach vergessen. Wir waren mitten in den Vorbereitungen, als ich nach Italien zurückging. Die Ausstellung sollte hier, in der zweiten Etage …«
    »Ausstellung?«
    Er nickte: »Schiller.« Langsam drehte er sich um, und mit einem letzten misstrauischen Blick auf die Gestalt folgte Rebecca der Bewegung. Amadeo wies den gegenüberliegenden Flur hinab. »Und Goethe.«
    Die lebensgroße Goethefigur war mit einem breitkrempigen Hut ausstaffiert, wie ihn Tischbeins berühmtes Gemälde von der Italienischen Reise zeigte. Dazu trug sie einen weiten, beigen Überwurf, unter dem die Schöße eines Gehrocks hervorsahen. Die Hände hatte sie auf dem Rücken ineinandergelegt und blickte aus dem Fenster auf das nächtliche Weimar.
    »Tut mir leid, dass ich nicht schneller geschaltet habe«, sagte Amadeo. »Bei Goethe hättest du gleich gesehen, dass er unbewaffnet ist.«

    Erst jetzt ließ Rebecca langsam ihre Waffe sinken. »Goethe«, murmelte sie und drehte sich um. »Und Schiller.«
    Amadeo nickte: »Die Ausstellung zeigt vor allem Autographen, also Manuskripte, die die beiden mit eigener Hand geschrieben haben. Spannend für die Wissenschaft, klar, aber für die Allgemeinheit? Die Figuren sollten das etwas auflockern, etwas lebendiger gestalten.«
    »Sehen verdammt lebendig aus«, murmelte Rebecca und trat ein paar Schritte auf die Schillerfigur zu. »Das sind aber alle, oder?«, erkundigte sie sich. »Da oben warten nicht noch Herder und Klopstock? Oder Mephistopheles?«
    »Eher nicht.« Amadeo schüttelte den Kopf. »Es sei denn, er ist in Helmbrecht gefahren. Wenn er es ist, der da oben auf uns wartet.«
     
    »Sie sind nicht Möbius!«
    Mit fiebrig glänzenden Augen visierte der alte Mann seine Gäste an.
    Helmbrecht lebte. Amadeo war eine Last von den Ausmaßen des Institutsgebäudes vom Herzen gefallen, als er die verhutzelte Gestalt erkannt hatte.
    Ja, er fühlte sich erleichtert, und doch war sein allererstes Gefühl ein anderes gewesen. Lag es an Helmbrechts Gesicht, das weiß war wie Wachs bis auf die schnapsrote Nase? War es das zerstrubbelte, schüttere Haar, das ihm einen Moment lang eine gespenstische Ähnlichkeit mit Einstein verlieh? Nein, vor allem war da dieser Blick, der ziellose, unruhige Blick hinter der Nickelbrille, der im Raum umherhuschte, unfähig schien, länger als ein paar Momente stillzuhalten.
    Nicht tot, dachte der Restaurator. Aber krank, schwer krank.
    »Wer ist Möbius?«, fragte Rebecca leise.
    »Keine Ahnung«, murmelte Amadeo. Möbius. Irgendetwas
sagte der Name ihm, doch er konnte ihn nicht einordnen. Er holte Luft, versuchte seine Stimme so normal klingen zu lassen, wie er das hinbekam in diesem Moment. »Hallo, Professor! Ich bin es, Amadeo Fanelli. - Wir sind es, Amadeo und Rebecca.«
    Helmbrecht kniff die Augen zusammen. Der Restaurator musste selbst blinzeln. Er hatte Helmbrechts Büro gut in Erinnerung: seine Hobbithöhle , wie das Reich des Professors unter den Institutsangehörigen genannt wurde - selbstredend nur, solange der alte Mann nicht dabei war. Das an sich großzügig geschnittene Zimmer war vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit Regalen voller Bücher und Dokumente, wie sie sich auch im Zentrum des Raumes auf einer Arbeitsfläche türmten, die einer italienischen Großfamilie als Esstisch hätte dienen können. Nur dass dort nichts Essbares zu entdecken war, sondern eine Ansammlung von feinen Pinseln, Skalpellen, Lupen und Tinkturen des paläographischen Handwerks.
    Um diesen Arbeitstisch herum war normalerweise gerade genug Platz, um sich mit eingezogenem Bauch an den Bücherregalen vorbeizuquetschen. Normalerweise, wohlgemerkt; im Moment war nicht einmal das möglich. Ganze Batterien von Leuchten und

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