Das Babylon-Virus
murmelte die Göttin.
Amadeo sah die Vision ihres gemeinsamen Ruhestands zerrinnen - doch in diesem Moment gab es Wichtigeres.
»Und jetzt graben wir?«, fragte er.
An Stelle einer Antwort stieß sie ihren Spaten in den Boden. Amadeo fuhr zusammen. Bisher hatten sie nahezu lautlos gearbeitet. Was nun kam, war ohne einen gewissen Lärmpegel nicht zu machen. Konnte irgendein Security-Mensch das überhören, solange er nicht gerade mit dem iPod auf den Ohren rumrannte? Und der Wachdienst war noch die beste denkbare Möglichkeit.
Nervös spähte er in die Dunkelheit. Das umfriedete Gelände stieg zur Umfassungsmauer hin an. Sie befanden sich nahezu am höchsten Punkt des Friedhofs, geschützt nur durch ein paar besonders voluminöse Grabmonumente und
die Vegetation, die aber schon weitestgehend auf Herbst geschaltet hatte.
Entschlossen wandte er sich ab und griff sich den zweiten Spaten. Je schneller sie arbeiteten, desto eher konnten sie von hier verschwinden. Doch ihre gruselige Arbeit ging langsamer vonstatten, als Amadeo gehofft hatte. Wann immer einer der Spaten mit einem dumpfen Laut auf etwas Festes stieß, lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Holz, es war jedes Mal Holz, doch noch waren es nicht die verrotteten Bretter des Sarges, sondern das Wurzelwerk der mächtigen Bäume, die zu beiden Seiten der Grabstätte wuchsen.
Es war eine schweißtreibende Arbeit, echte Knochenarbeit eben, und Rebecca hielt sich kein Stück zurück dabei. Das gefiel Amadeo nicht, doch er kannte diese Stimmung bei ihr, in der sie Argumenten nicht zugänglich war.
»Ich glaube, ich hab was«, sagte sie unvermittelt. Sie klang eine Spur heiser. »Hörst du das?«
Amadeo erstarrte auf der Stelle, lauschte.
Probeweise ließ Rebecca ihren Spaten direkt zu ihren Füßen noch einmal in die Erde fahren. Ein dumpfes Geräusch, aber anders als zuvor. Es klang …
»Klingt hohl«, sagte er leise.
Sie befanden sich etwa einen Dreiviertelmeter unter dem Niveau des Bodens. Amadeo hatte Acht gegeben, dass sie der Marmorstele mit der Inschrift und dem Medaillon nicht zu nahe kamen. Er legte keinen Wert darauf, von einem Grabstein erschlagen zu werden.
Rebecca griff nach der Taschenlampe, die sie auf der Einfassung abgelegt hatte, leuchtete in die dunkle Tiefe. Amadeo konnte nichts erkennen, selbst als sie versuchte, mit ihrem Schuh das Erdreich beiseitezuschieben.
»Müsste er nicht tiefer liegen?«, fragte sie zweifelnd.
Amadeo schüttelte den Kopf: »Ich glaube nicht, dass es
damals schon Vorschriften gab. Auf den meisten Friedhöfen haben sie einfach gestapelt - deshalb stehen alte Kirchen heute oft auf Hügeln. Die sind nicht natürlich entstanden, sondern …«
»Ich werd beim nächsten Spaziergang dran denken«, brummte sie und ging vorsichtig in die Hocke. Ihre Handfläche strich über die Stelle vor ihren Dockers. »Wenn du mich fragst, ist das der Sargdeckel. - Kletter raus, dann kann ich ihn freilegen. Wir sind uns sonst gegenseitig im Weg.«
»Aber dein Bein! Wenn du dich hinhockst …«
»Ich hock schon.«
»Mir wäre es trotzdem lieber. Wer weiß, was da draußen rumläuft, und du hast die Pistole und kannst damit …«
Sie musterte ihn misstrauisch, doch schließlich nickte sie widerstrebend und kletterte mühsam aus der Grube heraus. Amadeos Blick folgte ihr beunruhigt: Nein, sie war alles andere als in Form.
Er wartete, bis sie oben war, ging dann selbst in die Knie, tastete nach dem Punkt, den sie eben untersucht hatte: glattes Holz. Als seine Finger etwas weiterwanderten, glaubte er sogar Reste der Lackierung zu spüren. Ja, es war der Sarg.
Seinen Spaten reichte er Rebecca nach oben. Mit bloßen Händen ließ sich jetzt besser arbeiten. Schweigend grub er sich durchs Erdreich, warf es auf den Hügel, den sie links des Grabes aufgetürmt hatten. Ein kleiner Teil rieselte immer wieder zurück.
Nach einigen Minuten hatte er das Kopfende des Sarges freigelegt - wenn das das Kopfende war, auf den Stein zu. Rebecca hatte die Lampe wieder an sich genommen und leuchtete in die Grube hinein.
»Ist er stabil?«, fragte sie leise. »Der Sarg?«
»Wenn er es nicht ist, bin ich der Erste, der das merken
wird«, hauchte Amadeo und wandte sich auf den Knien vorsichtig zum Fußende um. »Öffnen müssen wir ihn sowie …«
»Psst!« Der Lichtstrahl verlosch. Auf einen Schlag war es stockfinster.
Amadeos Herz hämmerte gegen seine Rippen. Rebecca hatte etwas gesehen, gehört, was auch immer. Er wagte es nicht, zu fragen,
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