Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
hielt den Atem an. Wenigstens war er gut getarnt in seiner Grube - anders als sie. Er konnte nur auf ihre Fähigkeit vertrauen, förmlich mit der Dunkelheit zu verschmelzen.
    Amadeo horchte in die Finsternis. So leise wie möglich hatte er sich auf den Rücken gedreht, sah das unregelmäßige Rechteck der offenen Grube über sich und durch das schüttere Herbstlaub einen Ausschnitt des Novemberhimmels.
    Und er hörte etwas, schabende, schlurfende Geräusche. Entschlossen drängte er die Vorstellung beiseite, die augenblicklich in seinem Schädel auftauchte. Nein, diese Laute kamen nicht von unten. Sie kamen nicht aus dem Sarg. Irgendjemand war dort draußen unterwegs.
    Sekunden später konnte er die Schritte unterscheiden, Männerschritte. Mehrere Männer, zwei oder drei. Mit gedämpften Stimmen sprachen sie miteinander, auf Italienisch, wie Amadeo an der Melodie der Sprache erkannte, ohne die einzelnen Worte deuten zu können.
    Der Wachdienst. Er betete, dass es nur der Wachdienst war. Hatten die Männer sie entdeckt? Klangen die Stimmen angespannt? Kamen sie näher? Amadeo konnte es nicht ausmachen.
    Wie lange lag er schon hier unten? Er konnte die Zeit nicht messen - sein rasender Herzschlag war keine Hilfe.
    Über allen Gipfeln ist Ruh, dachte er. Hier unten aber auch. In der Tiefe der Grube regte sich kein Hauch, trotzdem kam ihm die Kälte jetzt, als er sich nicht mehr bewegte,
wieder wirklich zu Bewusstsein. Er hatte die abgetragene dunkle Jeans extra für diesen Anlass rausgekramt, und jetzt war eines der Hosenbeine ein Stück hochgerutscht. Irgendwas krabbelte über seine bloße Wade, doch er wagte nicht, es abzuschütteln.
    Die Stimmen … Sie wurden leiser. Oder bildetete er sich das nur ein? Wollten die Männer die Eindringlinge in Sicherheit wiegen, während sie Verstärkung holten?
    »Sie sind vorbei«, wisperte Rebecca nach einer Ewigkeit. Ihre Stimme klang wie das Rascheln von totem Laub.
    »Der Wachdienst?« Mehr bekam er nicht raus.
    »Ich denke schon«, flüsterte sie. »Warte noch einen Moment. Sie sind in die Richtung gegangen, aus der wir gekommen sind.«
    Schweigend verharrte Amadeo in der Tiefe, bis unvermittelt das helle Licht in seine Augen stach. »Tut mir leid«, murmelte Rebecca, und der Strahl bewegte sich von ihm fort. Trotzdem dauerte es Sekunden, bis er wieder etwas erkennen konnte.
    Rebecca war in die Knie gegangen und hielt die Lampe jetzt so, dass die Grube den größten Teil des Lichtes schluckte. Schon ein paar Schritte entfernt konnte nicht mehr zu erkennen sein als ein undeutlicher Schimmer.
    Mit zusammengebissenen Zähnen machte sich Amadeo wieder an die Arbeit, hektischer jetzt. Gab es nur diese eine Patrouille auf dem Friedhof? Hatten die Männer feste Routen, die sie regelmäßig abschritten?
    Seine Finger tasteten die Umrisse des Sarges ab. Das Holz war gut erhalten, wenn man bedachte, wie alt es war. Der Totenschrein war kein vollkommenes Rechteck, sondern verjüngte sich zum Kopf und zu den Füßen hin, sodass grob die Form eines Kreuzes angedeutet wurde. Die breiteste Stelle befand sich etwa auf Brusthöhe der Leiche.

    Mit der rechten Hand folgte Amadeo der Form des hölzernen Corpus, schob sich tiefer ins Erdreich vor. Metall unter seinen Fingern: die Beschläge des Schreins. Aber wie sollte er den Deckel öffnen, solange sein Gewicht auf ihm lastete?
    »Nimm die hier!« Rebecca beugte sich über die Grube, streckte ihm etwas entgegen. Der Stiel der Spitzhacke.
    »Das macht Lärm!«, flüsterte er, ohne zuzugreifen.
    »Aber es geht schneller«, zischte sie und sah sich über die Schulter um.
    Widerstrebend nahm Amadeo die Spitzhacke an sich. Es war ein kleines Gartengerät aus dem Baumarkt, nichts, mit dem man im Steinbruch arbeiten konnte, doch für ihre Zwecke würde es genügen.
    Amadeo richtete sich auf. Er spürte eine unüberwindliche Scheu. Wie ein Einbrecher, dachte er. Schlimmer als ein Einbrecher. Das letzte, kleinste, intimste Heim, das ein Mensch besitzen konnte. Strange , hatte Rebecca gesagt. Wie konnte man eine Rätselhandschrift im Grab des eigenen Sohnes verstecken? Nein, das war nicht einfach nur strange. Das war pervers, durch und durch pervers.
    Er warf noch einen Blick auf Rebecca, stellte fest, dass sie außer Reichweite war. Dann holte er aus und ließ die Hacke niedersausen.
    Sie drang durch den Sargdeckel wie durch Butter. Kein Krachen und Splittern; lediglich ein dumpfer Laut, als die morschen Bretter nachgaben. Helleres Holz kam zum

Weitere Kostenlose Bücher