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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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preisgab, leuchtete auch ihm ein.
    Und doch hatte ihnen Alyssa eben eine Menge erzählt, das nach menschlichem Ermessen in Akten mit dicken, roten Top-Secret -Stempeln hätte schlummern sollen.

    Nachdenklich sah er die Frau am Schreibtisch an, in ihrem hochgeschlitzten Abendkleid, das so überhaupt nicht in sein Büro passen wollte. Mit ihren blonden Haaren, die mit Sicherheit gefärbt waren. Ob sie in Wahrheit so rot waren wie bei Rebecca?
    Diese Frau hatte sie beide in der Hand gehabt. Ihre Waffe war auf Amadeo gerichtet gewesen; Rebecca hatte nicht eingreifen können. Doch Alyssa hatte die Pistole weggelegt, sie hatte Fotos von Verholen ausgepackt und ihnen Dinge erzählt, die die Welt in ein Chaos stürzen würden, wenn sie bekannt wurden: Die Regierungen wussten, woher die Grippe stammte. Sie hatten die Bevölkerung vorsätzlich belogen. Alyssa hatte alle ihre Trümpfe weggeworfen. Warum?
    Rebeccas Schwester trug wieder ihre ausdruckslose Maske, perfekt, wie eine zweite Haut. Es war dasselbe Gesicht, das Rebecca selbst beim Grübeln manchmal aufsetzte, doch Alyssa hatte diese Tarnung perfektioniert. Was in ihrem Kopf vorging, war nicht mal zu erahnen.
    Und trotzdem glaubte Amadeo es zu wissen.
    Sie waren verzweifelt: Alyssa, der gesamte Geheimdienst. Dieselbe Ratlosigkeit, die Amadeo schon einmal erlebt hatte, vierundzwanzig Stunden zuvor bei Doktor Möbius in Weimar. Wie verzweifelt muss ich eigentlich sein, dass ich nach einem solchen Strohhalm greife? , hatte der Mediziner gemurmelt.
    Eine Heimsuchung biblischen Ausmaßes war über die Welt hereingebrochen, und weder die hochtechnisierte moderne Medizin konnte ihrer Herr werden noch der aufgeblähte Apparat der Geheimdienste.
    Nichts davon. In Wahrheit hatten Alyssa und ihre Auftraggeber weniger als nichts in der Hand.
    Ihre einzige Hoffnung war eine bizarre Überlieferung, eine Spielerei unter Gelehrten, von der Alyssa in diesem Moment
noch gar nichts ahnen konnte, weil sie lediglich Einsteins Text kannte, nicht aber den von Goethe.
    Ihre einzige Hoffnung war ein Bücherrestaurator, der das Pech gehabt hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
    Ja, so sah Verzweiflung aus.
     
    Rebecca machte ein Gesicht, als wäre ihre Schwester dabei, ihr das Bein zu amputieren, anstatt lediglich die wieder aufgeplatzte Schusswunde neu zu versorgen. Amadeo hatte beide Frauen im Auge: Alyssa arbeitete schnell, mit sicheren Bewegungen, führte die medizinische Nadel ohne zu zögern durch das entzündete Fleisch. Nein, das machte sie nicht zum ersten Mal. Bei allen beiden Schwestern gehörte das vermutlich zum alltäglichen Geschäft. Wie hatte Rebecca es ausgedrückt, vor dem Haus des Professors? Allgemeines Berufsrisiko .
    »Das wird eine Narbe geben«, murmelte Alyssa. »Jetzt bestimmt. Das ist dir schon klar.«
    »Narben bin ich gewohnt«, sagte Rebecca. Ihr Tonfall war völlig neutral, aber war da nicht ein kurzes Aufblitzen in ihren Augen? Amadeo kam es vor, als ob Alyssa für einen winzigen Moment zusammenzuckte, die Nadel neu ansetzen musste. Nein, Rebecca hatte nicht allein von der Schusswunde gesprochen.
    Die blonde Frau warf einen letzten, prüfenden Blick auf die neue Naht, nickte dann und richtete sich auf. »So weit zu deinem Bein«, sagte sie. »Das war das kleinere Problem.«
    Bei der Verarztung des Oberschenkels hatte sie sich aus dem unergründlichen Handtäschchen ihrer Schwester bedient. Jetzt griff sie nach ihrem Pelzmantel, den sie schon vorgestern Abend angehabt hatte, als Amadeo dem jungen Niccolosi und seiner Flamme auf der Piazza Albania begegnet war.

    »Was hast du vor?« Rebeccas Augen verengten sich.
    Alyssa brachte eine Einwegspritze zum Vorschein und eine kleine gläserne Ampulle. »Dir wird kaum entgangen sein, dass du die Grippe bereits hast«, stellte sie fest. »Genau wie ich übrigens. Das hier …« Sie hob das Glasröhrchen an. »Unsere Vorräte sind begrenzt, Kapazitäten für ein paar hundert Menschen: die Sonderkommandos, Politiker … Du kennst die Vorschriften. Das hier ist experimentell, und es kann die Krankheit nicht heilen, aber es lindert die Symptome und ist das Wirksamste, was im Moment existiert.«
    »Das Zeug von Dr. Möbius war aber auch nicht übel«, bemerkte Amadeo. »Oder?« Unschlüssig sah er zwischen den beiden Frauen hin und her.
    Noch hatte er Alyssa seine Geschichte nicht erzählt. Der Name Möbius konnte ihr nichts sagen, doch das schien sie nicht zu stören. Mit ausdruckslosem Gesicht lehnte sie am

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