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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Zeit zurückgehen, von einem Text zum nächsten: weil alle diese Texte immer wieder an Ort und Stelle gekommen sind, nachdem der nächste große Geist sie gesichtet hatte. Hoffentlich. Das muss von Anfang an mit im Spiel gewesen sein! Damit wir genau das tun können, was wir jetzt tun!«
    »Bemerkenswert«, sagte Alyssa leise. »Und was schreibt nun … Händel, sagen Sie?«
    Amadeo brauchte einen Moment, um zum ganz unmittelbaren Gegenstand zurückzufinden. Mit jeder neuen Entdeckung wuchs seine Faszination für den ausgeklügelten, jahrtausendealten Mechanismus, nach dem das Geheimnis von Babylon funktionierte. Nachhaltigkeit, dachte er. Das große Wort am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Menschen von Babylon - diese Menschen vor Tausenden und Tausenden von Jahren - hatten wirklich gewusst, was das bedeutete. Von Einstein zu Goethe, von Goethe zu Händel … Und die nächste Etappe?
    Mit einem Gefühl der Ehrfurcht drehte er das Büchlein in seinen Fingern hin und her, schlug es zuerst ganz am Ende auf, bei den losen Seiten. Er kniff die Augen zusammen. »Die hier sind handgeschrieben«, murmelte er, doch im selben Moment erkannte er die Schrift. »Goethe«, sagte er. »Das muss Goethes Beipackzettel sein, aus dem Einstein erfahren hat, was es mit dem Spiel der Gelehrten auf sich hat.« Er legte die Blätter beiseite. Dass er mit Goethes Handschrift seine Probleme hatte, hatte er schon in Potsdam fststellen müssen - und die Funktionsweise des Rätselspiels kannten sie bereits. Sollte Helmbrecht das Schreiben entziffern, falls die Menschheit wider Erwarten überlebte.
    Stattdessen schlug Amadeo das Büchlein nun ganz am Anfang auf. Ein barock überladener Holzschnitt voller
engelhaft-allegorischer Etwasse, die von Wolken umschwebt eine Schriftrolle mit dem Titel des Werkes in die Höhe hoben. » The Tower of Babel. An Oratory «, las Amadeo vor. »An dieser Stelle müsste jetzt eigentlich eine Angabe kommen im Stile von As it is Perform’d at the Theatre Royal in Covent Garden . Der Aufführungsort. Händel hat seine Stücke oft umgeschrieben von Aufführung zu Aufführung, aber hier …« Er machte eine Kunstpause, sah zwischen den beiden Frauen hin und her. Alyssa betrachtete ihn abwartend, Rebecca hatte die Augen nach wie vor geschlossen. Ihre Lippen schienen sich zu bewegen, doch es war kein Ton zu hören. Betete sie? Das hatte er noch nie mitbekommen bei ihr - erstaunlich genug für eine Frau, die vom späteren Papst quasi aufgezogen worden war.
    »Hier fehlt das natürlich«, sagte Amadeo. »Es kann keine konkurrierenden Versionen geben - weil diese Komposition bis heute niemals aufgeführt wurde! Deshalb keine Angabe, auf welche Vorstellung die Noten sich beziehen, sondern einfach nur Compos’d by Mr Handel. «
    »Niemals aufgeführt?« Alyssa trat zu ihm an den Tisch. Der aufdringliche Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Wenigstens darin unterschieden sich die beiden Schwestern; aber vielleicht war das vulgäre Zeug auch nur einer ihrer Köder für Fabio gewesen, genau wie ihr Aufzug, in dem sie genauso gut unter der Laterne hätte stehen können, am Eingang zum Park an der Piazza Albania. »Wenn es sogar gedruckt ist, muss sich das doch mal jemand vorgenommen haben«, sagte die blonde Frau.
    »Nein«, widersprach Amadeo entschieden. »Ich könnte schwören, dass kein Mensch dieses Oratorium kennt. Und das Buch auch nicht.«
    »Sie meinen, es gibt nur dieses eine Exemplar?«
    »Das wäre aufwendig gewesen«, murmelte Amadeo.
»Und entsprechend teuer, es drucken zu lassen. Andererseits macht ein gedrucktes Buch natürlich viel mehr her, und so was war wichtig für jemanden wie Händel. Überlegen Sie mal: Es war die Zeit des Barock, des Rokoko, die Epoche der Reifröcke und Duftwässerchen - und der Puderperücken für den Herrn. Diese französischen Könige, die alle Louis hießen. Und mitten dazwischen Händel, der so was wie ein Popstar war damals, der ganz große Fachmann fürs Repräsentieren. Der die Reichen und Mächtigen in Szene setzte und sich selbst.«
    »Du meinst ganz sicher Händel?«, kam es vom Schreibtischstuhl. »Nicht Andy Warhol?«
    Amadeo nickte nachdenklich. Er war sich nicht sicher, ob Rebecca das mitkriegte in ihrem Dämmerzustand, doch er wollte sich einbilden, dass ihre Wangen mittlerweile wieder eine Spur Farbe bekamen. Recht hatte sie auf jeden Fall. Genau diese Sorte war Händel gewesen: der Darling der Londoner Society, genau wie Warhol zweieinhalb

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