Das Band der Magie
eine Erscheinung.
Mit großen Schritten warf ich mich auf meine Strohmatte, wälzte den Kopf zur Wand und schloss die Augen.
„Mach dir keine Sorgen, Keelin!“, murmelte ich. „Ich komm wieder auf die Beine. Morgen. Nicht heute. Aber morgen geht es mir wieder gut. Versprochen!“ Dann schlief ich vor Erschöpfung ein.
Am nächsten Morgen ging es mir tatsächlich ein bisschen besser. Ich sammelte die Geldstücke wieder ein und legte sie in eine Schachtel, die ich in der Erde vergrub. Dann setzte ich einen Findling auf diese Stelle.
Ich brauchte das Geld nicht mehr, denn ich würde nie wieder zu den Menschen zurückkehren. Ich war fertig mit ihnen.
Dann machte ich weiter wie bisher und bereitete mich auf den nächsten Winter vor. Denn der kam bestimmt.
Während ich die Hütte instand setzte, Fleisch pökelte und dorrte, meine Wäsche flickte, den Ackerboden ordnete, ein krankes Huhn tötete, rupfte, zerlegte, fischte, Beeren sammelte und meine Pfeile sortierte, beobachtete mich Keelin aus diesen besorgten Augen heraus. Ich bemühte mich, möglichst fröhlich zu sein.
Ich war ein sanftes, freundliches, lustiges Ding. Das wusste ich. Ich konnte aus den schlimmsten Situationen noch das Beste herausholen. Ich sah Dinge selten schwärzer als sie waren und ich lachte schrecklich gerne und schrecklich viel.
Aber in den nächsten Monaten lachte ich nicht mehr. Mir war das Lachen vergangenen. Zumindest vorerst.
Keelin ertrug meine Launen, so wie er die Geister in seinem Fell ertrug. Er ließ sich als Lastentier, Ackergaul und Turngerät missbrauchen. Er war unfassbar geduldig, in allen Dingen des Alltags.
Ich liebte ihn dafür. Ja, wirklich. Ich liebte ihn, wie ich noch nie ein Wesen vorher geliebt hatte, nicht einmal Meeha oder die süßen Wassergeister und schon gar nicht mal die dämliche Ziege.
Ich glaube, er liebte mich auch. Warum sonst hätte er all das ertragen?
Und dann fiel der erste Schnee. Das war meist ein ziemlich erdrückendes Gefühl, denn bald würde ich wieder an die Hütte gefesselt sein. Aber Schnee hieß auch, dass Keelin jetzt fast ein Jahr bei mir war. Ein gutes Gefühl. Diese tiefe Angst, dass er mich plötzlich verlassen könnte, verblasste ein wenig.
Als also die erste Flocke auf mein Gesicht fiel, wurde ich nicht traurig wie sonst. Ich begrüßte sie als Neuanfang, als einen weiteren Winter, der doch anders sein würde als die Winter zuvor: Denn ich war nicht mehr allein.
Ich legte den Kopf in den Nacken, ließ den Schnee auf mich sinken und streckte die Arme aus. Mit weit geöffneten Augen drehte ich mich und starrte in das wirbelnde Weiß im Himmel.
Es sah wunderschön aus.
Dann sprang mich Keelin an und riss mich in den Matsch. Ein wohl durchdachter Sprung, denn das Blitzen in seinen Augen sagte: Fang mich doch!
Ich schnaufte, grabschte nach den ersten liegengebliebenen Flocken und schleuderte ihm einen Misch aus Matsch, Schnee und halb verdorrten Blättern entgegen. Es war der mieseste Schneeball, den ich je geformt hatte, aber er traf den verblüfften Wolf genau im Gesicht.
Und da musste ich lachen. Endlich. Ein befreiendes Gefühl. Ich hatte es vermisst.
Kapitel 6 – Die Verwandlung
Von da an schüttelte ich meine beginnende Winterdepression ab wie die Bäume ihr Laub. Diese tiefe Trauer passte nicht zu mir, sie veränderte mich in die falsche Richtung. Ich war kein depressiver Haufen Wildnis! Nein!
Das wollte ich nicht sein und ich stemmte mich mit all meiner Energie gegen die schleichende Einsamkeit.
Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich ganz auf Keelin.
Es war oft schwierig für mich, ein richtiges Gespräch mit ihm zu führen. Auf komplexe Fragen reagierte er nämlich grundsätzlich nicht und er beantwortete auch die einfachen nicht immer.
Ich war mir nicht sicher, ob das Absicht war oder ob er es nicht konnte. Manchmal wirkte er so weit weg, so tierisch – und dann wieder wie ein aufmerksamer Mensch.
Sobald ich ihn aber fragte, ob er wusste, was die Striche in meinem Gesicht zu bedeuten hatten, reagierte er gar nicht mehr. Er zwinkerte noch nicht mal. Weißt du, was das ist? Weißt du, wer mir das beantworten könnte? Weißt du, ob es noch mehr von mir gibt? Bin ich ein Magiewesen? Ein Mensch? Ein Zwitter?
All diese Fragen blieben unbeantwortet und ich gab es irgendwann auf.
Der Winter verging ziemlich unspektakulär. Eine fiese Erkältung erschöpfte mich und fesselte mich für längere Zeit ans Bett. Wäre Keelin nicht bei mir gewesen,
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