Das Band der Magie
fünfundzwanzig Grad. Keelin war zwar verwirrt, ließ mich aber machen.
Ohrenkraulen? Keine Reaktion.
Gemütliche Abende am Kamin? Half nicht.
Vorher auf irgendwelchen Lichtungen rumliegen und Schmetterlinge anlocken? Auch da Fehlanzeige.
Ich wünschte mir so sehr, Keelin noch einmal als Mensch zu sehen, dass ich unruhiger war als normalerweise. Der Wolf nahm das natürlich wahr – und wirkte selbst ganz angespannt. Außerdem fühlte er sich wohl von mir beobachtet, was er ja auch war. Und das verunsicherte ihn.
Aber selbst der schönste Moment verblasst irgendwann in der Erinnerung. Ich hakte ihn ab und ging zum Tagewerk über.
Zwei Nächte später lag der Mensch wieder vor dem Kamin. Ich bekam fast einen Herzkoller und verfiel in Schnappatmung, die dann in einen handfesten Schluckauf endete. Mein Schluckauf weckte Keelin dann leider auf – und schwupps, lag da wieder ein Wolf.
Alles Blinzeln half nicht.
Ich hatte mir die Wandlung nicht eingebildet. Nein. Bestimmt nicht. Oder? Oder???
Die nächsten zwei Wochen benahm ich mich völlig konfus. Ich vergaß die Eimer am Bach und suchte sie stundenlang. Dann fand ich sie, nahm sie aber nicht mit. Ich säte die Wintergerste in ein noch nicht vorbereitetes Feld, was eine mittlere Katastrophe war, und wässerte einen Bereich, in dem noch kein Korn drin war. Dann vergaß ich, die Hühner zu füttern, sodass sie selbst irgendwann aus Verzweiflung aus dem Gatter flohen, und es dauerte Stunden, sie wieder rein zu locken.
Beim Ausbessern der Hütte schlug ich mir so auf den Finger, dass er um das Doppelte anschwoll, ich stürzte von der Leiter und ließ meine Wäsche in den Bach fallen, wo sie fast für immer vom Fluss davongetragen worden wäre.
Keelin tat sein Bestes, um das Schlimmste zu verhindern.
Er rettete die Wäsche aus dem Fluss, lockte die Hühner wieder zurück, sicherte von da an die Leiter, passte mit Argusaugen auf, wo ich säte, und folgte mir auf Schritt und Tritt. Er war nervös, weil ich so fahrig war – und ich war nervös, weil mich Keelin auf einmal nervös machte.
Morgens warf ich ihn ab jetzt immer, bevor ich mich wusch und anzog, aus der Hütte. Ihn als männliches Wesen zu sehen, hatte mein Schamgefühl geweckt. Ich konnte ihm noch nicht einmal mehr dabei zusehen, wie er die Bäume rund um unsere Hütte markierte.
Irgendwie sah ich dann in meiner Fantasie einen verstrubbelten Mann, der in die Büsche strullte – und musste schamhaft wegsehen.
Es war abzusehen, dass mich meine Zerstreutheit bald in ernsthafte Schwierigkeiten brachte, denn der Sommer schritt mit Siebenmeilenstiefeln voran. Ich musste dringend weitere Vorräte anlegen.
Aber es war echt schwer, sich zu konzentrieren.
Denn, mal ehrlich, so unwahrscheinlich war es ja auch gar nicht, dass in Keelin etwas Menschliches schlummerte. Immerhin konnte sich Meeha von einem Meerschweinchen in einen Affen verwandeln, wenn sie wollte.
War es da nicht auch möglich, dass sich ein Veddawolf in einen Menschen verwandelte?
Allein der Gedanke ließ tausend Schmetterlinge in meinem Magen flattern. Es wäre… es wäre… unvorstellbar! Es wäre… wunderbar!
Das war mein letzter Gedanke, bevor ich den blödesten Schritt meines Lebens machte. Ich bin normalerweise echt trittsicher, aber heute war ich mit meinen Gedanken mal wieder Meilen entfernt.
Mein Knöchel knickte auf dem steilen Abhang um, ich kam ins Rutschen. Automatisch versuchte ich, meinen Patzer auszubalancieren, aber der Stein gab plötzlich unter meinem Gewicht nach. Ich knallte nach hinten auf den Rücken und stürzte aus einem Gemisch aus Steinen, Ästen und Erde den Abhang runter.
Ich kam noch nicht mal dazu, zu schreien, dann war der Sturz auch schon beendet. Es war nur eine Rutschpartie von etwa fünf Metern gewesen, aber sie reichte.
Atemlos blieb ich auf dem Rücken liegen, starrte hoch in die Baumwipfel. Es war der Moment, in dem man noch keine Schmerzen hat. Dann kamen sie, heftig, grausam. Tränen schossen mir in die Augen.
In der Sekunde tauchte auch schon der schockierte Keelin neben mir auf, starrte mich aus riesigen, blauen Augen an.
Ich war noch nie gestürzt. Noch nie! Zumindest nicht so dämlich.
„Aua!“, sagte ich und rappelte mich langsam hoch. Meine kurze Bestandsaufnahme war erschreckend: Die Knie waren blutig, die Schienbeine aufgeschürft, ebenso die Ellbogen. Ich schmeckte Blut im Mund, hatte mir wohl auf die Zunge gebissen. Doch das Schlimmste war, dass mein Rücken in Flammen
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