Das Band der Magie
ich etwa so groß wie er, fünf Meter trennten uns voneinander.
„Geh nicht!“, sagte er freundlich.
Ich drehte mich mühsam um und wollte losklettern, da sagte er: „Du siehst nicht gut aus. Kann ich dir helfen?“
Das brachte mich aus dem Konzept. Und zwar richtig.
Meine Füße fühlten sich auf einmal bleischwer an, die Muskeln wogen Tonnen. Das Gesicht weiter von Tristan abgewandt, atmete ich ein paar Mal tief durch, wog meine Möglichkeiten ab.
Dass es mir nicht gut ging, sah man auf einen Blick. Dass ich Hilfe brauchte, ebenfalls. Aber allein die Tatsache, dass er sie mir angeboten hatte, änderte alles.
Mir hatte noch niemand Hilfe angeboten. Selbst der Händler hatte mich gar nicht großartig gefragt. Tristan fragte aber – und er ließ mir die Wahl.
Ich drehte mich langsam um.
„Der Winter war hart!“, entgegnete ich.
Tristan nickte langsam. „Das sehe ich.“
„Meine Hütte ist kaputt.“
„Oh ...“
„Und meine Ziege ist tot. Aber schon seit letztem Winter.“
„Das tut mir leid.“
„Die Hühner sind auch weg.“
„Hmhm.“
Er wartete. Ich schwieg.
Dann überraschte er mich mit der nächsten Frage so sehr, dass ich prompt wie die letzte Volldeppin darauf hereinfiel. „Geht es Keelin gut?“, fragte er sanft. „Hat er den Winter ebenfalls überstanden?“
Mein Kopf nickte, ehe ich es verhindern konnte.
Tristan entspannte sich so plötzlich, dass ich mich glatt erschreckte. Seine Erleichterung konnte man geradezu anfassen.
„Er lebt also.“
Ich nickte wieder. Leugnen war zwecklos.
„Ist er hier?“
Ich zuckte mit den Schultern. Wer wusste schon, wo Keelin gerade herumsprang. Ich vermutete aber, dass er in der Nähe war. Wenn ich die Rufe gehört hatte, hatte er es bestimmt auch.
„Kannst du ihn für mich herholen?“
Ich schüttelte den Kopf. Wenn Keelin kommen wollte, würde er schon kommen.
Tristan und ich starrten einander an, bis er wieder zwei Schritte auf mich zu machte. Diesmal blieb ich, wo ich war.
„Komm da mal runter, Aeri.“ Er hob mir seine Hand entgegen. Ich zauderte. Hand nehmen oder Flucht ergreifen? Hand ergreifen oder Füße in die Hand nehmen?
Er nahm mir die Entscheidung ab, indem er nach mir griff. Plötzlich waren seine riesigen Hände auf meinen Hüften, ein sanfter Druck, ein vorsichtiger Ruck – und er hob mich vom Hang runter zu sich.
„Himmel! Du wiegst ja gar nichts!“, sagte er erschrocken. Ich war viel zu ängstlich, um etwas Angemessenes darauf zu erwidern. Er hatte mich noch nicht losgelassen, hielt meine Hüften weiter gepackt. Gerade machte er Anstalten, mich wieder hochzuheben, da sprang Keelin neben uns oder besser gesagt: auf uns.
Wir stürzten, Tristan ließ mich los, ich kam unsanft auf dem Erdboden auf und schrammte mir mal wieder die Knie und Handgelenke auf. Benommen blieb ich liegen und rappelte mich dann auf alle Viere hoch. Aus dieser Perspektive sah ich nur Keelins riesigen Körper, der sich vor mir aufbaute, mit dem Hintern zu mir.
Er knurrte.
Sofort kam ich hoch, um über den gewaltigen Rücken meines Wolfes hinwegzusehen. Für einen winzigen Moment hatte ich schreckliche Angst, dass Keelin Tristan getötet hatte.
Aber Tristan hockte nur verwirrt im Dreck und starrte meinen Wolf an.
Der knurrte immer noch.
„Keelin!“, keifte ich. „Lass den Scheiß!“
Keelin unterbrach sein Geknurre, um mir einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Dann knurrte er weiter.
Von Tristan kam nur ein leises „Keelin!“ Er sprach den Namen so aus, als habe er eine riesige Schachtel Wachteleier - meine Lieblingseier - vor sich. Alles, was er sich je erträumt hatte.
Er rappelte sich auf, die Arme in Keelins Richtung ausgestreckt, als wolle er ihn umarmen. Keelin wich nach hinten weg und rempelte mich dabei an. Ich stemmte mich gegen den Wolf.
Da ahnte ich, dass sich Keelin wie in einer Falle fühlte. Es war nur ein kurzer Moment, als wir einander berührten, aber noch ehe ich ihm helfen konnte, machte er einen Satz den Hang hinauf, hektisch, deutlich uneleganter als sonst.
Wir riefen ihm beide ein „Keelin!“ hinterher. Tristan verzweifelt, ich irritiert. Dann kam Leben in Tristan. Er sprang auf, setzte an, wollte ganz offensichtlich meinem Wolf hinterher, doch ich packte ihn am Saum seiner Robe und hielt ihn auf. „Nicht!“, sagte ich. „Lass ihn. Lass ihm Zeit.“
Tristan zögerte ganz offensichtlich, gab dann aber nach. Er drehte sich wieder zu mir zurück und musterte mich kurz von oben bis unten. „Er ist
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