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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Fotoreportage erhalten, und - wer weiß - vielleicht ließe sich
ein Abendessen arrangieren, anschließend ein Spaziergang in die Spanischen Gärten,
dazu die Stadt in Feststimmung ... Es könnte wieder wie in Havanna sein. Alles war
für die Krönung bereit.
Acht Die Krönung
    Das Kammermädchen weckte Becky um sechs Uhr. Sie konnte keinen Augenblick
länger liegen bleiben, sprang aus dem Bett und trat ans Fenster. Von dort aus
schaute sie über den Park und die rotbraunen Dächer der dahinter liegenden Stadt,
dann auf die dunkelgrün bewaldeten Berge in der Ferne. Im Licht der Morgensonne
glänzte alles in einer frischen Klarheit, die Frau Winters französischer Bekannter,
Monsieur Pissarro, vielleicht in der Lage gewesen wäre auf die Leinwand zu bannen
und über die Becky nur staunen konnte. Dann hieß es, sich waschen, ankleiden,
frühstücken, zurück ins Zimmer, sich vom Kammermädchen frisieren lassen, das
Ergebnis im Spiegel überprüfen, Schuhe anziehen, Hut und Brosche wählen, die
Handtasche ... Oh, wo hatte sie die hingelegt? Und das Portemonnaie, Münzen ... Ob
es eine Kollekte geben würde? Reichte man bei einer Krönung das Opferkörbchen
herum? Wohl kaum. Aber im Falle eines Falles sollte man doch ein paar Münzen
dabeihaben. Wie spät war es? Oh, schon? Schnell, schnell.
Sie eilte nach unten, wäre beinahe über den Teppich im Westflügel gestolpert und
stieß in vollem Lauf mit jemandem zusammen.
     
Es war Jim. Er war wütend, aber offenbar nicht auf sie. Er zog sie in ein kleines
Vorzimmer hinter der Bibliothek.
     
»Hör zu«, sagte er, »wir haben nicht viel Zeit -«
     
»Ich weiß! Ich muss in drei Minuten am Westeingang sein!«
    »Jetzt halt mal die Klappe und hör zu. Gödel, zum Teufel mit ihm, hat sich für mich
irgendein lächerliches Amt ausgedacht, um mich hier im Schloss festzunageln. Dem
Hauptmann der Wache habe ich entwischen können, aber wenn er mich findet,
bringt er mich hinter Schloss und Riegel. Ich versuche gleich, nach draußen zu
kommen und zu Karl und den anderen zu stoßen. Da tut sich was, Becky. Wenn ich
könnte ...« Er hielt inne, horchte und versteckte sich hinter dem schweren Vorhang.
Becky tat so, als wollte sie ihre Handschuhe anziehen, da klopfte es und die Tür ging
auf.
Sie fuhr scheinbar überrascht herum und sah sich zwei Soldaten gegenüber.
»Verzeihung, Fräulein«, entschuldigte sich der eine, »aber haben Sie vielleicht den
Engländer gesehen, Herrn Taylor?«
     
»Nein, nicht heute Morgen«, sagte sie. »Ist er denn nicht bei Seiner Majestät?«
»Nein, er wird vermisst. Entschuldigen Sie nochmals die Störung.«
    Er salutierte und ging. Becky musste sich jetzt sputen, sonst würden alle wegen ihr
zu spät kommen. Sie sollte mit dem Grafen und der Gräfin zum Dom fahren, weil
Adelaide sie unbedingt in ihrer Nähe haben wollte. »Jim?«, flüsterte sie verzweifelt.
»Ich muss jetzt wirklich gehen!«
    »Schau nach, ob die Soldaten noch im Gang sind«, sagte er und trat hinter dem
Vorhang hervor. »Gib mir ein Zeichen, wenn die Luft rein ist. Und denk daran -GrünGelb ist auf unserer Seite.«
    Sie machte die Tür auf und lugte: Der mit einem roten Teppich ausgelegte Gang war
in beiden Richtungen leer. »Die Luft ist rein«, flüsterte sie und machte sich davon.
Sie hastete zum Westeingang, kam auf der Treppe ins Stolpern und taumelte, an
dem verdutzten Lakaien vorbei, gerade noch rechtzeitig bis vor die offene Kutsche.
Der Graf sah sie scharf an. In der Kutsche saß eine vierte Person, wie Becky innerlich
stöhnend feststellte.
    »Verzeihen Sie vielmals«, sagte sie, während sie so damenhaft wie möglich einstieg,
»ich bin mit dem Schuhabsatz im Teppich hängen geblieben
und ins Stolpern
geraten.«
    Eisiges Schweigen empfing sie. Sie nahm neben dem Grafen Platz und schaute zur
Seite. Der Lakai schloss den Wagenschlag, der Kutscher ließ die Zügel klatsehen, und
dann fuhren sie der Staatskarosse nach, die bereits die Eingangspforte passiert
hatte. Becky hätte nur zu gern in die Menge geschaut, doch das wäre sehr unhöflich
gewesen, denn der Graf stellte sie dem ihr gegenübersitzenden alten Herrn vor,
einem
Herzog
von
Soundso.
Da
sie
saß,
war
ein
Knicks
nicht
möglich,
doch
irgendeine höfliche Geste schien gefordert, und so wand sie sich wenig anmutig vor
ihm, woraufhin er freundlich den Hut lüftete. Die Kutsche verlangsamte ihre Fahrt,
als sie zur Staatskarosse aufgeschlossen hatte. Hinter ihr folgten zwei weitere
Kutschen und dann kam eine

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